Stimmen der Automatisierungsbranche zur aktuellen Bauteilversorgung

Da geht es anderen Branchen schlechter

Längere Lieferzeiten, steigende Preise, Produktionsausfall bei Automobilbauern - wer die Meldungen neben Corona, Afghanistan und Klimawandel liest stellt schnell fest, dass der deutschen Industrie Ungemach droht. Wir haben bei Automatisierungsherstellern nachgefragt, wie die Lage dort derzeit ist.
Die Halbleiterbranche weiß durchaus 
zu schätzen, dass der Industriebereich ein 
sehr stabiler und langfristiger Markt 
mit guten Margen ist.
Hans Beckhoff, geschäftsführender Gesellschafter von Beckhoff Automation"Die Halbleiterbranche weiß durchaus zu schätzen, dass der Industriebereich ein sehr stabiler und langfristiger Markt mit guten Margen ist."
Hans Beckhoff, geschäftsführender Gesellschafter von Beckhoff Automation
Die Halbleiterbranche weiß durchaus zu schätzen, dass der Industriebereich ein sehr stabiler und langfristiger Markt mit guten Margen ist. Hans Beckhoff, geschäftsführender Gesellschafter von Beckhoff Automation"Die Halbleiterbranche weiß durchaus zu schätzen, dass der Industriebereich ein sehr stabiler und langfristiger Markt mit guten Margen ist." Hans Beckhoff, geschäftsführender Gesellschafter von Beckhoff AutomationBild: Beckhoff Automation GmbH

Da hat man einen veritablen Aufschwung, und schon droht den Unternehmen eine Rohstoffknappheit die Stimmung zu verderben. Ein in der Regel gut zweistelliges Auftragsplus bei Maschinenbauern und Automatisierern: Grund für Jubelstimmung gäbe es schon. Doch zum Einen ist es gar nicht so einfach, die Produktion unter Abstands- und Hygienemaßnahmen in den Werkhallen so rasant hochzufahren wie es nötig wäre. Und zum Anderen stecken wir aktuell in einer globalen Mangelwirtschaft. Neben Corona-bedingten Produktionsausfällen in Grundstoffindustrien macht die Verknappung der Frachtkapazitäten der Weltwirtschaft zu schaffen. Die Fachverbände ZVEI und VDMA warnen. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Peter Adrian, spricht gar von einem „großen Problem“.

Und tatsächlich, um die Rohstoffe sieht es derzeit nicht gut aus: Europas größter Stahlhersteller Thyssenkrupp spricht von einem „Stahlengpass in Europa“, weswegen Stahl auch deutlich teurer wurde. Die Kautschuk-Preise haben sich mehr als verdoppelt, bei Kunststoffgranulat sieht es ähnlich aus. Der Engpass an Halbleitern sorgt bei Automobilherstellern weltweit immer wieder für Produktionsausfälle. Aktuell musste Toyota seine Produktion laut Finanzzeitung ‚Nikkei‘ um 40% herunterfahren, 27 von 28 Montagebändern in den 14 japanischen Fabriken wurden zeitweise stillgelegt. In Deutschland gab es ähnliche Fälle.

"Einen derartigen Versorgungsengpass im Bereich von Leistungshalbleitern und Mikrocontrollern hatte ich in 31 Jahren Automation noch nicht erlebt." 
Dr. Gunther Kegel, CEO von Pepperl+Fuchs
"Einen derartigen Versorgungsengpass im Bereich von Leistungshalbleitern und Mikrocontrollern hatte ich in 31 Jahren Automation noch nicht erlebt." Dr. Gunther Kegel, CEO von Pepperl+FuchsBild: Pepperl+Fuchs Vertrieb Deutschland GmbH

Die Lage der Automatisierer

Doch betrifft das alles auch die Automatisierungsbranche? Das SPS-MAGAZIN hat bei wichtigen Unternehmen der Branche nachgefragt. Die Antworten sind durchaus aufschlussreich, wenngleich manche Firmen es bei diesem Thema vorgezogen haben, nicht zu antworten – womöglich aus Sorge, als unzuverlässiger Lieferant dazustehen? Das ist wohl nicht der Hauptgrund. Der Geschäftsführer eines Antriebstechnik-Herstellers begründete im Telefonat seine Zurückhaltung damit, dass die Lage zu volatil sei. Antworten, die er jetzt gebe, könnten bei Erscheinen des Heftes bereits wieder veraltet sein, weil sich die Liefersituation so schnell ändere. Und auch das ist ja eine wertvolle Aussage: Die Lage ist unübersichtlich.

Dass es für Automatisierungs-Hersteller eine Herausforderung ist, scheint allerdings klar: „Hier sind alle genannten Bereiche betroffen. Die Lieferzeiten haben sich zum Teil sprunghaft erhöht – in einigen Fällen um mehr als zwölf Monate“, konstatiert Thomas Peters, Leiter Applikationsvertrieb bei KEB Automation. „Lieferausfälle treten unter anderem bei Halbleitern auf und sind problematisch, da die Distributoren teilweise nicht rechtzeitig durch den Hersteller beliefert werden.“ Dass die Lage außergewöhnlich ist, bestätigt auch Dr. Gunther Kegel, CEO von Pepperl+Fuchs: „Ja, wir leiden unter deutlich längeren Lieferzeiten und abnehmender Liefertreue in vielen Halbleiterbereichen, besonders aber im Bereich von Leistungshalbleitern und Mikrocontrollern. Einen derartigen Versorgungsengpass hatte ich in 31 Jahren Automation noch nicht erlebt.“

Doch nicht nur Halbleiter sind betroffen, wie Dr. Christian von Toll, Geschäftsführer Weidmüller Deutschland bestätigt: „Tatsächlich sind einige Materialien sehr knapp. Dies trifft uns vor allem im Bereich der Rohstoffe und Vormaterialien wie Kunststoff und Metalle.“ Auch bei elektronischen Bauteilen sei sehr flexibles Handeln erforderlich. Christian Wolf, Geschäftsführer von Turck ergänzt: „Die Rohmaterialversorgung ist derzeit in jederlei Hinsicht herausfordernd. Das betrifft nicht nur die elektronischen Bauelemente, sondern auch Granulate oder Metalle.“

Bild: TeDo Verlag GmbH

Ausgangslage besser als befürchtet

Allerdings sehen sich die meisten Befragten gut gerüstet für die Situation. „Wir haben sehr davon profitiert, dass wir die Läger in 2020 nicht heruntergefahren haben“, führt Christian Wolf aus. „Uns war klar, dass das Geschäft nicht auf dem Niveau von 2020 bleiben wird, weshalb wir mit einem zweistelligen Wachstum in 2021 geplant haben. Dass die Nachfrage jetzt so stark steigt, hat aber auch unsere Erwartungen übertroffen. Trotzdem hat uns unser guter Lagerbestand, nicht nur an Fertigwaren, sondern auch an Rohmaterial, sehr geholfen.“ Laut Hans Beckhoff, geschäftsführender Gesellschafter von Beckhoff Automation, hat die Automatisierungsbranche auch keine Nachteile gegenüber anderen, größeren Branchen: „Ja, auch bei uns ist der Bereich Halbleiter am stärksten betroffen. Die Halbleiterbranche weiß aber durchaus zu schätzen, dass der Industriebereich ein sehr stabiler und langfristiger Markt mit guten Margen ist. Dieser Markt wurde gerade im vergangenen Jahr seitens der Halbleiterindustrie intensiv weiter aufgebaut. Außerdem ist z.B. Beckhoff als reiner Elektronikhersteller mit einem Umsatz von mehr als 1Mrd.€ im Jahr 2021 ein auch im Volumen interessanter Kunde für diese Zulieferanten.“

Ganz so einfach ist es wohl nicht überall. „Wir sind aufgrund unserer geringen Stückzahlen sicher kein A-Kunde und müssen häufig Allokationen, also Zuteilungen akzeptieren“, erklärt Dr. Kegel. „Auf der anderen Seite können unsere Probleme auch mit kleineren Mengen durchaus entschärft werden.“ Insgesamt sind sich die Befragten einig, dass die Situation bei Microchips und elektronischen Bauelementen für die nächsten Monate angespannt bleiben wird. Im Halbleiterbereich werde uns das Schlimmste wahrscheinlich noch bevorstehen, nach aktuellen Prognosen der Hersteller soll dies im vierten Quartal diesen Jahres der Fall sein, so Christian Wolf. „Natürlich haben Großkonzerne allein schon aufgrund ihres Einkaufsvolumens einen anderen Verhandlungshebel“, so Dr. von Toll. „Aber wir setzen auf unsere langjährigen und vor allem vertrauensvollen Lieferantenbeziehungen.“ Dass das zu klappen scheint, zeigt die Tatsache, dass im Gegensatz zu Automobilisten und Consumer-Elektronik-Herstellern bei den Automatisierern bislang noch kein Werk stillstehen musste. Am Ende der Nahrungskette seht die Branche also nicht.

Redesigns zum Teil nötig

Das heißt nicht, dass es ohne Komplikationen laufen würde. Hans Beckhoff bestätigt: „Aktuell verlängern sich die Lieferzeiten, allerdings können wir nach wie vor alle Produkte ausliefern.“ Und auch Thomas Peters von KEB konstatiert: „Bei einigen unserer Produkte verzögert sich die Lieferzeit aufgrund fehlender Bauteile. Wir versuchen unsere Lieferfähigkeit z.B. dadurch aufrechtzuerhalten, indem wir auf ähnliche Komponenten oder auch höherwertige Alternativen ausweichen.“ Das könnten dann fallweise Stecker in einer anderen Farbe sein, oder Prozessoren mit höherer Leistung. „Unsere Lieferfähigkeit hat sich deutlich verschlechtert, aber bisher konnten die Lieferungen des gesamten Portfolios noch aufrechterhalten werden“, spricht Dr. Kegel für Pepperl+Fuchs und Dr. von Toll ergänzt für Weidmüller: „Wie überall zu beobachten müssen auch wir unsere Lieferzeiten an die Situation anpassen. Das ist zum einen der Materialsituation geschuldet, zum anderen sind die Bestelleingänge vieler Orte sehr hoch. Was hilft ist eine enge Abstimmung mit unseren Kunden, wo wir in Einzelfällen auch auf alternative Produkte hinweisen, um die hohen Bedarfe zu decken.“

„Wir sehen, dass es schwieriger wird, die Lot-Sizes zu bekommen, die wir aufgrund des hohen Auftragseingangs benötigen“, bestätigt Christian Wolf von Turck. „Natürlich sind auch einige Lieferzeiten davon betroffen. Änderungen im Produktdesign, das betrifft uns auch, wenn auch noch in einem akzeptablen Maße. Wir haben schon Redesigns angestoßen bei gewissen Produkten, weil bestimmte Chips in den nächsten 6 bis 12 Monaten nicht mehr zu bekommen sind.“

Preiserhöhungen unvermeidbar

Dass sich diese Lage auch auf das Preisniveau auswirkt, dürfte niemanden erstaunen. Allerdings versuchen die meisten Firmen, den Anstieg etwas zu puffern, da sie eine Erholung erwarten. „Die rasant steigenden Rohstoff-, Transport- und Energiekosten spiegeln sich natürlich auch in unseren Einkaufspreisen wider“, sagt Dr. von Toll. „Durch die kontinuierliche Verbesserung unserer Fertigung- und Logistikprozesse versuchen wir die steigenden Kosten zu kompensieren, was aber nur bedingt möglich ist. Insoweit sind wir trotz dieser umfangreichen Bemühungen auch an dem Punkt, unsere Preise anzupassen.“ Erhöhungen sind auch laut Thomas Peters in Teilen nötig. Das sei nicht zu vermeiden, sei allerdings auch von der jeweiligen zugelieferten Komponente abhängig und lasse sich nicht verallgemeinern. „Die Rohmaterialpreise sind teilweise signifikant gestiegen, was wir in Teilen weitergeben mussten“, bestätigt auch Christian Wolf. „Wir haben aber auch Produktivitätsvorteile generiert, sodass wir in anderen Bereichen keine Erhöhungen weitergeben mussten, auch weil wir hier teilweise temporäre Effekte sehen. Unser Fokus liegt derzeit auf den Bereichen Lieferperformance und Lieferstabilität vor kurzfristiger Kostenbetrachtung.“ Auch Beckhoff sieht sich gezwungen, gestiegene Preise zumindest zu einem Teil auch an Kunden weiterzugeben und laut Dr. Kegel müssen für ‚Broker-Ware‘ teilweise mehrere 100% Aufpreis gezahlt werden. „Die Mehrkosten können wir nur zum Teil an unsere Kunden weiterreichen“, so Kegel, „wir haben eine 5%-ige Preiserhöhung durchgeführt. Über zukünftige Preisentwicklungen dürfen wir auch aus Gründen des Wettbewerbsrechts keine Auskunft geben.“

Langfristig Beruhigung erwartet

Die Sorge, dass die Branche vor einer dauerhaften Preisspirale steht, treibt die befragten Automatisierungsverantwortlichen allerdings eher nicht um, und auch nicht dass das derzeitige Wachstum ein Strohfeuer sein könnte. Dr. Gunther Kegel: „Unsere Aufträge sind nachhaltig. Wir sehen lediglich, dass Kunden – aufgrund unserer sinkenden Lieferbereitschaft – Waren jetzt früher für ein späteres Lieferdatum bestellen. Wir glauben, dass Hamsterkäufe und Lagerbestandsaufbau bei unseren Kunden eher die Ausnahme sind.“ Und Christian Wolf führt aus: „Man muss unterscheiden zwischen dem jetzigen Verteilungskampf auf den Beschaffungsmärkten, wo temporär die Preise nach oben schießen, und der langfristigen Preisentwicklung. Diese Effekte werden sich meines Erachtens perspektivisch auch wieder glätten. In der Summe glaube ich daher nicht, dass das Preisniveau von Elektronikkomponenten dauerhaft nennenswert steigt, wenn sich der Markt wieder normalisiert.“

Die Welt ist in Bewegung, und so bleibt es auf jeden Fall spannend, wie auch Thomas Peters es sieht: „Da viele Hersteller aktuell nicht liefern können, werden Aufträge bei unterschiedlichen Lieferanten platziert, was erneut zu einer Verschärfung bei den Zulieferprodukten führt. Somit könnte der Aufschwung schnell wieder abflachen.“ Hans Beckhoff geht von einem länger andauernden Wachstumszyklus aus, „zumindest solange die weltpolitische Lage nicht instabil wird.“ Dass das nicht nur an Corona liegt, betont auch Dr. von Toll: „Langfristig wird sich der Auftragseingang sicherlich wieder normalisieren. Aber die Mobilitäts- und Energiewende, die erneuerungsbedürftige Infrastruktur, die zunehmende Digitalisierung und Vernetzung erfordern weltweit zusätzliche Kapazitäten, um all diese Aufgaben zu bewältigen. Insoweit sehen wir unsere Industrie auch in den nächsten Jahren in einem sehr dynamischen Umfeld.“

TeDo Verlag GmbH

Das könnte Sie auch Interessieren