Zuverlässige Profinet-Kommunikation

Hohe Anforderungen an industrielle Netze

Industrielle Netzwerke müssen immer mehr leisten. Neue Anwendungsfelder, wie Machine Learning, KI und prädiktive Instandhaltung, sorgen für immer größere Datenmengen. Profinet als weit verbreiteter Industrial-Ethernet-Standard spielt dabei eine wesentliche Rolle. Entsprechend groß ist die Herausforderung für die Konzeption, Inbetriebnahme und Wartung von Profinet-Netzwerken.
 Eine stabile Profinet-Installation ist die Grundvoraussetzung für die digitale Transformation der Produktion. Die gemischte Nutzung von Standard-IT-Kabeln und Profinet-Leitungen führt häufig zu Störungen.
Eine stabile Profinet-Installation ist die Grundvoraussetzung für die digitale Transformation der Produktion. Die gemischte Nutzung von Standard-IT-Kabeln und Profinet-Leitungen führt häufig zu Störungen.Bild: Leadec

Die Anforderungen an die industrielle Kommunikation gleichen einem Spagat. Es wird zunehmend mehr Leistung gefordert – von immer größeren Datenmengen über zusätzliche Funktionen, wie TSN, bis hin zur transparenten Kommunikation in die Cloud. Zudem sind Zuverlässigkeit und Stabilität der industriellen Kommunikation wichtiger denn je. Aufgrund straffer Prozessketten und schlanker Produktionssysteme ohne Zwischenlager wirkt sich eine Anlagenstörung heute viel mehr aus als noch vor ein paar Jahren.

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Stabilität der industriellen Kommunikation

Während früher einzelne Anlagenstillstände durch geplante Puffer aufgefangen werden konnten, funktioniert das heute wegen der weitgehenden Vernetzung der Prozesse nicht mehr. Selbst wenn die Produktion noch läuft, kann die Ware eventuell nicht ausgeliefert werden, weil z.B. die Dokumentation der Qualitätsdaten nicht funktioniert oder der Lagerbestand nicht aktualisiert wird. In einer vernetzten Produktion kann der Ausfall eines einzelnen Anlagensegments zum Stillstand der ganzen Fabrik führen.

In diesem Kontext ist es erstaunlich, dass manche sporadische Störung in der Profinet-Kommunikation nicht richtig ernst genommen wird – weil ja nach einem kurzen Aus- und Einschalten alles wieder läuft. Vor allem dann, wenn die Anlage schon einige Jahre in Betrieb ist, geht das Anlagenpersonal erfahrungsgemäß davon aus, dass kein echtes Problem vorliegen kann. In der Praxis werden die Abstände zwischen den plötzlich Ausfällen jedoch immer kürzer, bis sich dann gezwungenermaßen doch jemand mit der Fehlersuche befasst.

 Bei der HDTDR-Messung wird ein kurzschlussbehafteter TAP als extreme Stoßstelle angezeigt.
Bei der HDTDR-Messung wird ein kurzschlussbehafteter TAP als extreme Stoßstelle angezeigt.Bild: Leadec

Strukturierte Fehlersuche

Ein wesentlicher Schritt bei der Fehlersuche ist eine Grundinspektion. Das ist eine Art Bestandsaufnahme, bei der alle Profinet-Teilnehmer erfasst sowie verschiedene Messungen von Störgrößen, wie Schirmströme, Störpegel auf den Versorgungsleitungen und die ESD-Belastung, durchgeführt werden. Oft werden im Rahmen der Grundinspektion Fehler gefunden, die von Anfang an vorhanden waren – sogenannte Installations- oder Verbaufehler. Das sind Fehler, wie falsch angeschlossene Steckverbinder, fehlende Abstimmungen und lange Leitungslängen – also Fehler, die bei der Abnahme nach der Erstinstallation oder nach Umbauarbeiten an der Anlage nicht geprüft oder übersehen wurden.

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Standard-Ethernet im industriellen Einsatz

Für die schnelle Verbreitung von Profinet in industriellen Anwendungen ist es von Vorteil, dass die Kommunikation auf der im Büroumfeld bewährten Ethernet-Technik basiert. Eine gleichzeitige Nutzung von Standard- und Industriekomponenten innerhalb eines Netzwerks funktioniert in vielen Fällen, sollte jedoch vermieden werden. Das betrifft Kabel und Leitungen sowie Netzwerkkomponenten, wie Switche und Gateways. „Profinet und Standard-Ethernet haben die gleiche Steckerform. Da ist es einfach verlockend, ein Standard-Patchkabel zu verwenden, wenn man keine Profinet-Leitung zur Hand hat“, berichtet Hans-Ludwig Göhringer, Netzwerkspezialist bei Leadec.

Alterung und Verschleiß

Unter Alterung versteht man Verschleißeffekte an der Profinet-Installation, die durch Umwelteinflüsse verursacht werden. Z.B. wirken über den gesamten Lebenszyklus immer wieder Feuchtigkeit, Temperaturschwankungen, Kühlmittel, Lösungsmitteldämpfe, Vibrationen und Wechselbiegebelastungen auf die Leitungen und Steckverbinder. Mögliche Folgen sind:

  • Oxidation von Kontaktoberflächen
  • Verschmutzung von Kontakten durch Staub, Öl, Kleber und Metallstaub
  • Kabelbrüche im Kabelschlepp
  • Lose Kontakte durch mechanische Beanspruchung und Temperaturwechselbelastungen
  • Austrocknen von Elektrolytkondensatoren
  • Kurzschluss durch mechanische Reibung
  • Beanspruchung der Leitungen durch Chemikalien und Lösungsmittel
  • Versprödung von Kunststoffen durch UV-Strahlung

Kontinuierliche Verbesserung

Nachdem alle Verbaufehler und die durch Alterung entstandenen Mängel an der Installation beseitigt sind, geht es im nächsten Schritt um die kontinuierliche Verbesserung, um auf Dauer eine zuverlässige Profinet-Kommunikation zu gewährleisten. Es ist das Ziel, z.B. durch Alterung oder mechanische Belastung entstehende Mängel sofort zu beseitigen – bevor der Ausfall der Profinet-Kommunikation zu einem Anlagenausfall führt. Dazu eignen sich verschiedene Verfahren, wie z.B. die Betrachtung von Return loss, Widerstand-Unsymmetrie, Jitter oder die HDTDR-Messung.

Die Rückflussdämpfung, englisch Return loss, ist ein Reflexionsfaktor. Er zeigt das Verhältnis vom eingespeisten Signal zum reflektierten Signal. Die Ursachen für Reflexionen können beschädigte Kabel, lose Steckverbindungen oder fehlerhafte Geräte sein. Wenn die reflektierten Signale zu stark sind, werden sie als Nutzdaten interpretiert. Das führt zu Fehlern in der Netzwerkkommunikation. Von der DC-Widerstand-Unsymmetrie ist die Rede, wenn der Widerstand zwischen den verschiedenen Aderpaaren nicht im selben Bereich liegt, sodass die Profinet-Datensignale verzerrt werden. Als Jitter bezeichnet man die zeitliche Abweichung vom Telegrammtakt bei der Datenkommunikation. Die Angabe erfolgt in der Regel in Nanosekunden oder Prozent. Je größer die Abweichung vom Idealzustand ist, desto größer ist das Risiko, dass die Datenpakete zu spät ankommen. Bei der HDTDR-Messung (High Definition Time Domain Reflectometry) wird ein sehr kurzer Testimpuls auf die Leitung geschickt. Der an einer Schwachstelle reflektierte Teil des Signals wird vom HDTDR-Messgerät an der Einspeisestelle ausgewertet.

Praxis-Workshop auf dem Automatisierungstreff 2023

Im eintägigen Praxis-Workshop ‚Mehr Zuverlässigkeit und Effizienz bei Profinet-Netzwerken‘ erläutert Göhringer, wie sich Installationsfehler und Alterungseffekte zuverlässig erkennen und beseitigen lassen. Das konkrete Ziel ist es, die Stabilität von Anlagen mithilfe der korrektiven Instandhaltung zu verbessern. Zudem wird besprochen, wie ein konstruktiv-begleitender Prozess aussehen kann, um Installations- und Verbaufehler von vornherein zu vermeiden. Die Inhalte des Workshops basieren auf der langjährigen Erfahrung der Leadec-Experten bei der Beseitigung von Störungen in industriellen Netzwerken und Feldbussystemen. Es werden Themen behandelt, die in der täglichen Praxis an Maschinen und Anlagen besonders häufig auftreten. Das sind insbesondere das richtige Einordnen der Signaldämpfung, die Schirmleitungsbewertung über Steckverbinder hinweg und das zuverlässige Erkennen von auffälligen Baugruppen. Die Leadec NetApp zur systematischen Fehlersuche rundet den Workshop ab. Sie ermöglicht eine Netzwerkdiagnose per Sichtprüfung und dient zur Dokumentation von Profinet-Installationen über den gesamten Lebenszyklus hinweg. Abschließend wird besprochen, welche Auswirkungen durch die Erweiterung von Profinet um die TSN-Funktion zu erwarten sind.

Leadec Holding BV & Co. KG
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