Interview mit den Helmholz-Geschäftsführern Karsten Eichmüller und Carsten Bokholt

„Proprietäre Lösungen haben sich überlebt“

Bei Helmholz stehen in diesem Jahr gleich mehrere Jubiläen an: Zum einen die 35-Jahr-Feier des Unternehmens. Zum anderen erblickte das I/O-System TB20 vor zehn Jahren das Licht der Welt. Aus diesem Anlass war das SPS-MAGAZIN vor Ort in Großenseebach und hat sich mit den Geschäftsführern Karsten Eichmüller und Carsten Bokholt über die strategische Aufstellung des Unternehmens unterhalten - und darüber, warum sich der Fokus von der S7-Welt in Richtung offener und passgenauer Kommunikation bzw. Automatisierung verschoben hat.
 Passgenaue Lösungen: Den mittelständischen Maschinenbau sieht Carsten Bokholt als idealen Sparrings-Partner für Helmholz.
Passgenaue Lösungen: Den mittelständischen Maschinenbau sieht Carsten Bokholt als idealen Sparrings-Partner für Helmholz. Bild: Helmholz GmbH & Co. KG

Helmholz wurde 1988 gegründet. Gab es damals auch schon den Fokus auf Automation und Kommunikation, der heute das Portfolio prägt?

Carsten Bokholt: Nein, die Ausrichtung des Unternehmens war erst einmal eine andere. Der Gründer, Manfred Helmholz, hatte sich auf Basis seiner Berufserfahrung in der Automatisierungsbranche ursprünglich unter dem Namen Helmholz Industrieautomation selbstständig gemacht. Spezialisiert auf S5-Programmierung und Anlageninbetriebnahme. 1988 ist daraus dann die Firma Systeme Helmholz, mit dem Fokus auf das S5-Umfeld entstanden – genauer gesagt auf Produkte, die Siemens damals nicht im Angebot hatte. Im Gegensatz zu anderen Firmen, die ähnlich gestartet sind, führte dieser Weg Helmholz vor allem zur Kommunikationstechnik. Diese Ausrichtung wurde dann von der S5- in die S7-Welt übernommen und kontinuierlich ausgebaut.

 Das I/O-System TB20 entwickelt sich im 
Helmholz-Portfolio zum alles verbindenden Schlüsselelement, wie Karsten Eichmüller (l.) betont.
Das I/O-System TB20 entwickelt sich im Helmholz-Portfolio zum alles verbindenden Schlüsselelement, wie Karsten Eichmüller (l.) betont. Bild: Helmholz GmbH & Co. KG

Es ging aber nicht um einen Second-Supply-Ansatz?

Karsten Eichmüller: Nein, es ging um Mehrwert über das Grundprodukt hinaus – um spezielle Funktionen oder mehr Leistung, die sich im Siemens-Portfolio nicht fanden. Helmholz ist schon damals sehr konkret auf spezielle Bedürfnisse und Anforderungen seiner Kunden aus dem S7-Umfeld eingegangen – und kann seine Kunden bis heute auch noch mit solchen Lösungen versorgen.

Blickt man jetzt auf das Portfolio, ist von dieser Ausrichtung nicht mehr allzu viel übrig.

Bokholt: Richtig. Karsten Eichmüller und ich bilden zwar offiziell erst seit 2016 die Geschäftsleitung. Wir waren aber vorher bereits viele Jahre für die strategische Ausrichtung und die Produkt-Roadmap verantwortlich. Schon das TB20-System, mittlerweile zehn Jahre auf dem Markt, ist sozusagen eines unserer Kinder – und damit ein Kind der neuen Positionierung.

Warum kam es zu der veränderten Ausrichtung?

Bokholt: Aus unserer Sicht war es für den weiteren Erfolg entscheidend, sich ein gutes Stück weit von der der S7-Welt zu entkoppeln. Der Bedarf für Siemens-kompatible I/O-Baugruppen ist über die Jahre deutlich zurück gegangen, weil Siemens immer stärker auf Bussysteme und dezentrale Peripherie gesetzt hat – in vielen Fällen zu Lasten der traditionellen SPS im Schaltschrank.

Eichmüller: Das erste eigene Highrunner-Produkt aus dieser Perspektive war unsere MPI-Box, mit der wir eine Verbindung aus dem S7-Portfolio zu den Produkten anderer Automatisierungshersteller realisieren konnten – etwa um Bedien-Panels an eine Siemens-SPS anzuschließen. Diese Möglichkeit kam damals sehr gut an und wir haben die Lösung in sehr hohen Stückzahlen verkauft.

Bokholt: Das war der Startschuss für Kommunikationslösungen, die über die Siemens-Welt hinaus gehen. Und letztlich auch für ganz neue Tätigkeitsbereiche, wie der Fernwartung. Für die es bald ebenfalls eine Variante des MPI-Adapters mit integriertem Modem gab. Die neue Denk- und Herangehensweise haben wir dann zum Anlass genommen, um ein eigenes I/O-System frei nach unseren Vorstellungen zu gestalten. Denn eines war klar: Auch wenn sich die Steuerungstechnik dezentral verteilt: Der Bedarf an I/Os bleibt weiterhin groß.

Hat Helmholz seine Strategie dann komplett in diese Richtung ausgelegt?

Eichmüller: Nein. Bei vielen Kundengesprächen stehen die I/Os anfangs nicht im Fokus. Sie wenden sich im ersten Schritt wegen Lösungen für Maschinen-Netzwerke an Helmholz. Unser I/O-System erfreut sich jedoch im zweiten Schritt – sozusagen als verbindendes Element – großer Beliebtheit. Denn so lässt sich die gesamte Anbindung nach außen hin wunderbar abdecken. Der Kunde bekommt also ein Rundum-Sorglos-Paket in Sachen Kommunikation und I/Os. Das ist ein wesentlicher Teil unserer Strategie und unseres Erfolgs.

Was, wenn der Kunde auch noch die Steuerungslösung dazu haben will?

Bokholt: Es gab und gibt keine CPUs im Helmholz-Portfolio. Stattdessen setzen wir an dieser Stelle auf unseren Partner Insevis. In dieser bereits lange Jahre bestehenden Kooperation versorgen wir zusammen eine Vielzahl an Kunden mit SPS-, HMI- und Kommunikationstechnik – und treten teilweise auch gemeinsam auf Messen auf.

Eichmüller: Mit Blick auf das Leistungsspektrum ergänzen sich Helmholz, Insevis und CMZ ausgezeichnet. Keiner muss sich Sorgen machen, dass der andere ihm das Geschäft streitig macht. Ganz im Gegenteil: Alle Seiten profitieren durch die Zusammenarbeit von einem wachsenden Kundenkreis.

Wie eng ist die Zusammenarbeit bzw. der Austausch mit den Kunden?

Eichmüller: Hier hat sich viel geändert. Früher ging es immer one way von uns zum Anwender. Mittlerweile findet der Austausch längst in beide Richtungen statt – was Vorteile auf beiden Seiten mit sich bringt. Unsere Kunden schildern ihre konkreten Bedürfnisse und bringen eigene Ideen ein. Das hilft uns wiederum stark dabei, das bestmöglich passende Produkt bereit zu stellen. Und so bietet sich immer wieder die Chance für komplett neue Projekte.

Wie geht es weiter auf der Entwicklungs-Roadmap von Helmholz?

Bokholt: Wir stoßen parallel in verschiedene Richtungen vor. Zum einen erweitern wir das I/O- und Protokollangebot. Zum anderen erschließen wir mit unseren Switches und Gateways ganz andere Bereiche, für die wir weiterhin ebenfalls Neuheiten präsentieren werden.

Eichmüller: Speziell das Switch-Portfolio ist eine wesentliche Produktsäule für unsere Zukunft – nicht nur mit Blick auf den Umsatz, sondern auch auf die strategische Aufstellung. Deshalb bauen wir dieses Angebot kontinuierlich aus, und zwar gemäß der ursprünglichen Philosophie von Helmholz: Der Anwender erhält nicht nur das Gerät, sondern einen Zusatznutzen, den es nur bei uns gibt: Switches, die komplett auf die Bedürfnisse des Maschinenbaus hin ausgerichtet sind und moderne Features bieten – aber gleichzeitig unkompliziert im Handling sowie in der Inbetriebnahme sind.

Bokholt: Das Thema Usability ist schon lange von essenzieller Bedeutung für uns. Der Kunde soll sich ja voll und ganz auf seine Kernkompetenz konzentrieren können: den Maschinenbau. Switches, die Firewall, Fernwartung oder eine IoT-Anbindung soll er möglichst ohne großen Aufwand und vor allem ohne Spezialisten integrieren können. Es muss sich quasi um Plug&Play-Lösungen handeln, die man mit unserem Quick Start Guide in wenigen Handgriffen umsetzt.

Eichmüller: Dazu kommt das Angebot an verschiedenen Bauformen und Baugrößen, so dass sich der Anwender das exakt passende Produkt aussuchen kann. Heute, wo Firmen branchenübergreifend mit dem Fachkräftemangel kämpfen, ist das Schlagwort Easy to Use in aller Munde. Bei Helmholz hingegen ist es schon immer Programm.

Bokholt: Und es geht einher mit unserem Fokus auf Mehrwertfunktionen. Schließlich sollen sich diese genauso unkompliziert nutzen lassen. Maschinenbauer müssen sich ja genau überlegen, womit sie ihr Geld verdienen. Und das sind in aller Regel Funktionalität und Leistung der Maschine und in den seltensten Fällen großes Knowhow in Sachen Kommunikation.

Eichmüller: Die Kommunikation bleibt das zentrale Thema, das es mit möglichst wenig Aufwand zu lösen gilt. Bei den großen Automatisierern musste man früher nicht selten umfangreiche Anleitungen lesen, um eine Baugruppe in Betrieb zu nehmen. Bei unseren Produkten ging es von Beginn an viel schneller – der Firmengründer wusste schließlich aus eigener Erfahrung, welcher Aufwand normalerweise dahintersteckt.

Wie ist die Situation auf dem Markt heute?

Bokholt: Die Branche hat sich ein gutes Stück gewandelt und fordert Einfachheit und Transparenz aktiv ein. Die proprietären, zentralistischen Automatiserungslösungen haben sich eigentlich überlebt. Offenheit und Konnektivität sind die neuen Schlagworte. Deswegen kommen unsere Kommunikations- und I/O-Lösungen so gut an.

Eichmüller: An der Entwicklung unseres Portfolios lassen sich die technologischen Trends in der Automatisierung gut ablesen: von Multiprotokoll-Lösungen, Connectivity und offene Schnittstellen bis zu Fernwartung, Cybersicherheit und IoT. Sicherlich können wir dem Markt als Mittelständler keinen technologischen Stempel aufdrücken. Aber wir sind agil genug, um unser Portfolio zeitnah auf sich ändernde Bedürfnisse im Markt anzupassen. Bei der Frage, welche der Trends sich auch wirklich durchsetzen, bringen wir unsere jahrzehntelange Erfahrung ein.

Wie sieht es mit kundenspezifischen Entwicklungen aus?

Bokholt: Komplett individuelle Entwicklungen versuchen wir zu vermeiden. Aber wir greifen natürlich spezielle Wünsche unserer Kunden auf, wenn es eine lohnenswerte Schnittmenge im Markt gibt. Mit diesem Ansatz haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht und eine nicht unbeträchtliche Zahl an Features in unserem Portfolio auf den Weg gebracht. Der mittelständische Maschinenbau ist dafür ein guter Sparrings-Partner.

Eichmüller: Helmholz ist einer von wenigen unabhängigen Automatisierungsanbietern, die im deutschsprachigen Raum in unserer Firmengröße noch agiert. Unsere Wettbewerber sind in der Regel um ein Vielfaches größer.

Bokholt: Zudem sind wir – obwohl weltweit tätig – regional stark verwurzelt. Bis auf ein Büro in Kroatien, in dem Software entwickelt wird, erfolgt die gesamte Wertschöpfung bislang hier am Stammsitz in Großenseebach. Viele Kunden, aber vor allem die meisten Lieferanten und Partner, stammen aus der Region. Die eben bereits genannte Firma Insevis ist nur 20km entfernt. Auch wird in Kürze ein EMS-Dienstleister auf dem Helmholz-Firmengelände in einer eigens dafür errichteten Halle integriert. Klar müssen wir einzelne Bauelemente auch in Asien einkaufen – aber Made in Germany ist bei uns definitiv noch Programm. Und dieses Markenzeichen steht bei Helmholz nicht nur für hohe Qualität, sondern vor allem für die Flexibilität, mit der wir unsere Kunden bedienen.

Eichmüller: Ein dritter Vorteil, der daraus resultiert, ist die hohe Nachhaltigkeit. Diesen Begriff beansprucht seit kurzem jedes Unternehmen für sich. Für Helmholz ist er nichts Neues. Local Sourcing, kurze Arbeits- und Logistikwege und damit verbundener Ressourcenschutz und Effizienz: Das haben wir immer schon so gemacht.

Hat ihr Unternehmen davon auch in Zeiten der Lieferkrise profitiert?

Bokholt: Wir haben mittlerweile rund 500 aktive Produkte im Programm. Einen Großteil davon konnten wir zuverlässig oder nur mit geringer Verzögerung liefern. Auch an dieser Stelle wurde die mittelständische Flexibilität von Helmholz und unserer Lieferanten von den Kunden stark honoriert. Doch wie gesagt, sind selbst wir bei manchen Halbleiterbausteinen auf asiatische Lieferanten angewiesen. Daran führt kein Weg vorbei. Aber weil Helmholz das Plattformdenken tief in seinem Portfolio verankert hat, ist es uns gelungen, auf den Bauteilemangel sehr schnell mit Re-Designs zu reagieren. So fühlen wir uns auch für künftige Unwägbarkeiten gut gerüstet.

Sie haben erwähnt, dass Helmholz mittlerweile weltweit tätig ist. Wo geht ihre Reise in dieser Hinsicht hin?

Eichmüller: Den größten Teil bilden nach wie vor Kunden aus Deutschland. Doch der Exportanteil macht bereits über ein Drittel des Geschäfts aus. Hier liegt der Schwerpunkt in Europa. Aber immer mehr Kunden kommen etwa aus China oder

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