Normiert in die Zukunft mit SPE

Quo vadis Ethernet?

Die technologischen Vorteile einer reduzierten Verkabelung treten immer deutlicher zu Tage. Sein Potenzial kann das Single Pair Ethernet (SPE) aber nur als herstellerunabhängiger und normierter Teil einer neuen Netzwerkarchitektur ausschöpfen. Gemeinsam mit Marktbegleitern treibt Phoenix Contact die Entwicklung und Standardisierung von geschützten und ungeschützten Steckgesichtern voran.
Aspekte der industriellen Vernetzung: Auch SPE wird künftig eine wichtige Rolle spielen.
Aspekte der industriellen Vernetzung: Auch SPE wird künftig eine wichtige Rolle spielen.Bild: Phoenix Contact Deutschland GmbH

Mit den Trends ist es manchmal so eine Sache. Jeder hat schon davon gehört, viele reden darüber, aber kaum einer weiß wirklich Bescheid. Das gilt auch für das Single Pair Ethernet (SPE). Dessen Vorteile liegen sprichwörtlich auf der Hand und sind bereits vielfach kommuniziert worden: weniger Rohstoffeinsatz bei den Kupferadern, geringeres Gewicht in der Handhabung, kompaktere Kabeltrassen in der Gebäude- und Anlagenverkabelung. All das sind unbestreitbar echte Vorteile – gegenüber dem achtadrigen Ethernet oder der Feldbusverkabelung. Aber in welchen Szenarien kommen diese Vorteile zum Tragen? Was ist wirklich erforderlich, damit SPE zur DNA des Industrial Internet of Things (IIoT) werden kann?

Zukunft der industriellen Kommunikation

Das IIoT ist die Vision einer vollständig vernetzten industriellen Produktion. Alles ist mit Allem verbunden und tauscht fleißig Daten aus: Menschen mit Maschinen; Maschinen mit Roh-, Zwischen- und Endprodukten; Endprodukte mit anderen Endprodukten. Und das alles quer über Branchen und Anwendungsbereiche hinweg. Dabei wird schnell klar, dass nicht nur die Anzahl der Teilnehmer in diesem industriellen Netz der Dinge potenziell unendlich ist. Auch die relevanten Datenmengen wachsen in kaum vorstellbare Dimensionen hinein. Nahezu unendlich viele Teilnehmer und unendlich viele Daten – da könnte man auch an ein Chaos babylonischen Ausmaßes denken. Man stelle sich nur eine riesige ‚Talkrunde‘ vor, in der jeder einzelne Mensch auf der Erde gleichzeitig in seiner Sprache versuchen würde, sich allen anderen Zeitgenossen mitzuteilen. Undenkbar ohne eine gemeinsame Sprache, ohne gemeinsames Regelwerk und ohne genau definierte Ordnung, wer wann wie lange und mit wem spricht. Das Industrial Internet of Things kennt jedoch eine derartige Ordnung: das Ethernet-Protokoll. Als Kommunikationsprotokoll für den Datenaustausch definiert es exakt die oben genannten Rahmenbedingungen. Bereits seit den 1970er Jahren ist das Ethernet zur firmeninternen und lokal begrenzten Übertragung von Datenpaketen in kabelgebundenen Computernetzwerken (LAN – Local Area Network) etabliert. Bisher drang es jedoch nicht in die letzte Feldebene vor. Vor diesem Hintergrund wurden die bestehende Feldverkabelung, die Geräteschnittstellen sowie die Geräte selbst hardwareseitig für die Feldbus-Kommunikation ausgelegt.

SPE ist heute richtungsweisend

Es zeigt sich also deutlich, dass es sich beim Single Pair Ethernet noch um eine Zukunftsvision handelt – aber auch beim Konzept des IIoT steht das Visionäre ja noch im Vordergrund. Die kommenden drei bis fünf Jahre werden allerdings richtungsweisend für beide Visionen sein. Und in der Tat bedingen sich beide gegenseitig. Denn das Single Pair Ethernet umfasst, wie aufgezeigt, nicht nur das softwareseitige Kommunikationsprotokoll, sondern auch dessen physikalische Übertragungswege – den so genannten Physical Layer. Ähnliche Definitionen werden nicht nur für das Single Pair Ethernet erarbeitet, sondern auch für andere Anwendungen wie beispielsweise die Funkübertragung (5G), die Datenübertragung in der Prozessindustrie und im Großanlagenbau (APL – advanced physical layer) oder Echtzeitkommunikation (TSN – time sensitive networking). Damit wird schon heute der Grundstein für eine ganz neue Netzwerkarchitektur gelegt.

 Einpaarige und vierpaarige MICE-Schnittstellen werden für IP20- und IP6x-Anwendungen konzipiert.
Einpaarige und vierpaarige MICE-Schnittstellen werden für IP20- und IP6x-Anwendungen konzipiert.Bild: Phoenix Contact Deutschland GmbH

Erst die Normierung schafft Sicherheit

Ausgangspunkt für die aktuell entwickelten SPE-Normen ist der offene BroadR-Reach-Standard von 2011. Ursprünglich von der Broadcom Corporation entwickelt und an Teilnehmer der Open Alliance SIG lizensiert, beschreibt der Standard physikalische Schnittstellen und Übertragungsmedien in Automobilanwendungen. Im Kern geht es dabei um die Datenübertragung über ein einziges, verdrilltes Aderpaar. Hier liegt also die eigentliche Geburtsstunde des Single Pair Ethernet – wenn auch noch nicht unter diesem Namen. Die IEEE 802.3 hat bezüglich der Normierung der Steckverbinder für das Single Pair Ethernet der ISO/IEC JTC 1/SC 25 WG 3 einen Arbeitsauftrag erteilt, um entsprechende Steckverbinder vorzuschlagen und zu standardisieren. Dabei kommt es darauf an, die entsprechenden MICE-Klassen für die unterschiedlichen Applikationen in Büro- und Industrieumgebung zu berücksichtigen. MICE beschreibt die mechanischen Eigenschaften, die Dichtigkeitseigenschaften, die klimatischen Eigenschaften und die elektromagnetischen Eigenschaften der Steckverbinder und Kabel (MICE-Klassen: Mechanical, Ingress, Climatic, Electromagnetic). Seit 2017 wurden dann in der Normenreihe IEC63171 neue Normen zusammengefasst, die physikalische Schnittstellen für unterschiedliche IP-Schutzarten und damit unterschiedliche Einsatzbereiche in der industriellen und semi-industriellen Automatisierung beschreiben. Die IEC63171 umfasst eine Basisnorm, die alle Steckverbinder erfüllen müssen. Darunter gliedert sich die Norm in aktuell sechs Standardisierungsvarianten mit unterschiedlichen Steckverbindern, die allesamt für das Single Pair Ethernet geeignet und zugelassen sind. Keiner dieser Standards wurde bereits veröffentlicht. Daher kann in Bezug auf deren Definitionsrahmen – die physikalischen Übertragungswege – derzeit auch noch nicht von einem Standard gesprochen werden. Eine Empfehlung der IEEE für zwei dieser Standards in Kombination mit dem entsprechenden Einsatzgebiet – Gebäude- und industrielle Verkabelung – wurde jüngst wieder revidiert. Erst mit Prüfung und Veröffentlichung der endgültigen Norm sowie der breiten Akzeptanz am Markt kann sich hier ein Standard etablieren.

 Neue Kommunikationsstandards sind die Basis für die durchgängige Vernetzung vom Sensor über die Maschine und übergeordnete 
Systeme bis in die Cloud hinein.
Neue Kommunikationsstandards sind die Basis für die durchgängige Vernetzung vom Sensor über die Maschine und übergeordnete Systeme bis in die Cloud hinein.Bild: Phoenix Contact Deutschland GmbH

Use Case Factory Automation

Aktuelle Gerätegenerationen, Schnittstellen und Verkabelungskonzepte sind von den Standardisierungsbemühungen also nicht unmittelbar betroffen. Hersteller von Sensoren und Aktoren sowie von Steuerungen und Feldgeräten beschäftigen sich jedoch schon heute im Design-in-Prozess mit der Geräte-Generation, die erst in zwei bis drei Jahren Marktreife erlangt. Die durchgängige Ethernet-basierte Kommunikationsstruktur ist gerade für Hersteller von Feldgeräten schon heute ein wichtiges Argument. Auch die hohen Übertragungsdistanzen von bis zu 1.000m sowie die Möglichkeit, Daten und Leistung von bis zu 60W über nur ein Aderpaar (PoDL – Power over Dataline)zu übertragen, sind Schlüsselargumente für SPE in zukünftigen Gerätegenerationen. Phoenix Contact bietet mit seinem Steckverbinderkonzept ein durchgängiges steckkompatibles System an, das kompakt baut und das dem Gerätehersteller erlaubt, möglichst wenig Platz auf der Leiterplatte in Anspruch zu nehmen und damit kleinere Geräte zu bauen. Das Steckverbinderkonzept basiert auf IEC63171-2 für IP20-Applikationen in der Gebäude- und Schaltschrankverkabelung und auf IEC63171-5 für IP67-Applikationen in der Feldebene der industriellen Anwendungen. Außerdem treibt Phoenix Contact die Normierung der entsprechenden Schnittstellen voran. Gemeinsam mit anderen Marktbegleitern – Belden, Fluke Networks, Reichle & De-Massari, Rosenberger, Telegärtner und Weidmüller – entwickelt der Anschlusstechnik-Spezialist geschützte und ungeschützte Steckgesichter für einpaarige und vierpaarige Leitungen. Darüber hinaus treibt Phoenix Contact das Thema der gesamten SPE-Infrastruktur über die ‚SPE System Alliance‘ voran, zu der mittlerweile mehr als 15 führende Technologieunternehmen aus verschiedenen Branchen und Anwendungsbereichen zählen, die ihr SPE-Knowhow bündeln und zielgerichtet austauschen. Auch der Wunsch nach Kostenersparnis treibt die Reduzierung auf nur ein Aderpaar maßgeblich voran. Ein im oben erwähnten Konsortium entwickelter Use Case für den Bereich Factory Automation zeigt, dass SPE mögliche Kosteneinsparungen von mehr als 25 Prozent im Vergleich zu modernen modularen Maschinenkonzepten mit sich bringt. Die Kosteneinsparungen liegen nur begrenzt bei den Komponenten, sondern vielmehr in der konsequenten Nutzung der SPE-Technologie. Alle Komponenten der Maschine können dann digital miteinander kommunizieren. Darin liegt der eigentliche Vorteil bei der Kosten-Nutzen-Analyse, denn der Status jeder einzelnen Komponente der Maschine kann jederzeit und von jedem Ort abgerufen werden. Die Vorteile – Gewichtsreduktion der Kabel, Miniaturisierung und Vereinfachung der Anschlusstechnik – kommen erst mit der Durchgängigkeit der gesamten Infrastruktur zum Tragen. Die Netzwerkstruktur in allen Applikationsbereichen, von der Gebäudeautomatisierung über die Fabrikautomation bis hin zur Prozessautomation, wird von dieser Innovation beeinflusst. Niemand sollte in diesem Kontext außer Acht lassen, dass es sich bereits heute entscheidet, wohin das Ethernet in Zukunft geht.

IEC63171-2: SPE-Steckgesichter für IP20

IEC63171-5: SPE-Steckgesichter für IP67

ISO/IEC11801-1: Allgemeine Anforderungen für Twisted-Pair- und Glasfaserkabel

Single Pair Ethernet – auf einen Blick

Das Single Pair Ethernet (SPE) beschreibt die physikalischen Schnittstellen zur einpaarigen Übertragung von Daten und Leistung zwischen unterschiedlichen Kommunikationsteilnehmern.

Das IEEE erarbeitet Normen für unterschiedliche Anwendungen mit Datenübertragungsraten von 10 (802.3 cg), 100 (802.3 bw) und 1000MBit/s (802.3 bp) sowie für Leitungslängen von 15 bis 1.000m.

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