Die ersten Weichen für Gleichstrom

Nach der Gründung der Open Direct Current Alliance (ODCA) Ende letzten Jahres hat die ZVEI-Arbeitsgruppe ihre Arbeit aufgenommen. Ziel der Allianz ist der weltweite Aufbau eines Gleichstrom-Ökosystems und die anwendungsübergreifende Etablierung der Gleichstrom-Technologie. Die ODCA sieht ihre Aufgabe darin, den Transfer von der Theorie in die Praxis zu schaffen. Das SPS-MAGAZIN hat bei einigen Gründungsmitgliedern nachgefragt, welche Motivation und Ziele sie treiben, sich dabei zu engagieren und DC-Technologielösungen zu entwickeln.

Was war die Motivation, sich als Gründungsmitglied der ODCA zu engagieren? Welche Ziele und Erwartungen haben Sie?

Dr. Susanne Krichel, Lapp: Eine nachhaltige Energieeffizienz und der Umstieg auf erneuerbare Energien können nur erfolgreich sein, wenn wir konsequent immer mehr auf Gleichstrom umstellen und Wandlungsverluste vermeiden. Daher haben wir uns sehr frühzeitig mit dem Thema Gleichstrom beschäftigt und waren im Forschungsprojekt DC-Industrie2 geförderter Partner, wo wir die Langzeitstabilität von Isolationsmaterialien für DC-Kabel und DC-Leitungen erforscht haben. Bei der Entwicklung von Kabeln und Leitungen für Niederspannungs-Gleichstromnetze für industrielle Anwendungen gehen wir weiter als Pionier voran und sind deshalb außerdem seit Herbst 2022 Gründungsmitglied der Open Direct Current Alliance (ODCA). Bereits jetzt verfügen wir über ein großes Portfolio an gleichstromtauglichen Verbindungslösungen und waren die Ersten, die weltweit ein DC-Portfolio vorgestellt haben.

Dr. Lutz Steiner, Lenze: Als Anbieter für Automatisierung setzen wir uns für mehr Nachhaltigkeit in der Industrie ein. Dabei ist die Gleichstromtechnologie ein wichtiger Baustein, denn sie führt zur besseren Energieeffizienz – z.B. durch das Vermeiden dezentraler Energiewandlungen von Wechsel- zu Gleichspannung, wie wir sie heute bei vielen elektrischen Verbrauchern und Frequenzumrichtern vorfinden. Zudem erleichtert sie die Nutzung regenerativer Energien in der Produktion. Als Partner in der ODCA wollen wir die Gleichstromtechnik weltweit mit vorantreiben und die Industrie kosten- und ressourceneffizienter machen.

Dr. Christian Helmig, Phoenix Contact: Phoenix Contact engagiert sich schon seit 2016 im Themenfeld DC. Zuerst im Rahmen der Forschungsprojekte DC-Industrie und dem Nachfolgeprojekt DC-Industrie2 und jetzt natürlich der ODCA unter der Federführung des ZVEI. Wir glauben, dass der Trend hin zu Gleichstromnetzen und die damit verbundenen Vorteile an Einsparungen von Energie und Materialressourcen einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten wird. Auch die Einbindung von regenerativen Energien wird dadurch stark vereinfacht. Alle diese Vorteile hat sich Phoenix Contact mit der Strategie der All Electric Society ohnehin auf die Fahnen geschrieben. Eine solche Herkulesaufgabe des industriellen Wandels geht natürlich nur durch eine enge Zusammenarbeit von Hochschulen, Technologieführern aus der Industrie und Verbänden. Von daher war für uns direkt klar, dass wir nicht nur bei der Gründung der ODCA mitmachen, sondern uns auch im Vorstand und den sechs Arbeitsgruppen mit unseren Experten engagieren. Mit der Gründung der ODCA schaltet die DC-Technologie quasi in einen höheren Gang, um noch mehr Fahrt aufzunehmen und die offensichtlichen Vorteile in reale Anwendungen und damit eine Wirksamkeit zu überführen.

Raphael Görner, Rittal: Gleichstrom liefert erhebliche Vorteile für die Industrie und für unsere Kunden als Anwender, beispielsweise durch bessere Integration von erneuerbaren Energien in stabilen, offenen Netzen mit weniger Ressourcenverbrauch und Einspeiseleistung. Rittal war daher beim ZVEI schon als Partner in den vorgelagerten Forschungsprojekten DC-Industrie assoziiert. Jetzt, da die All Electric Society aus guten Gründen vorangeht, ist das umso relevanter. Eine Herausforderung, die mit den passenden Technologien und Strategien zur Chance wird. Dazu braucht es nicht nur neue Lösungen der Unternehmen, sondern auch übergreifende Zusammenarbeit und Impulse durch Initiativen wie die ODCA. Seit der Gründung unserer Business Unit Energy & Power Solutions treiben wir beides in Kooperation mit Herstellern, Planern und Anwendern verstärkt voran: innovative Lösungen zur Stromverteilung und neue Standards für Gleichstrom-Anwendungen.

Olaf Grünberg, Weidmüller: In der DC-Technologie liegt enormes Potenzial. Mit ihr lässt sich der Energieverbrauch in der Industrie erheblich verringern – ein wichtiger Schritt hin zur klimaneutralen Produktion. Um das Gleichstromökosystem großflächig zu etablieren, engagiert sich Weidmüller als Gründungsmitglied im Board und den Working Groups in der ODCA. Nur gemeinsam können wir die globale elektrische Energieversorgung verbessern und diesen zukunftsweisenden Weg gestalten. Dafür bringen wir unser langjähriges elektrotechnisches Knowhow ein. Um diese Entwicklung schneller voranzutreiben, ist es wichtig, dass sich weitere Mitglieder der ODCA anschließen. Nur so können die Anforderungen aller relevanten Bereiche – von der Energieversorgung bis zum DC-Anlagenbetrieb – abgedeckt werden. Da das Thema global gedacht werden muss, wollen wir zudem die Internationalisierung vorantreiben. Je größer der Markt ist, desto schneller ist die DC-Technologie kosteneffizient. Um dieses Ziel zu erreichen, setzen wir uns zudem für die Einführung weiterer Standards ein.

Holger Schulte, Wöhner: Wöhner hat bereits im Forschungsprojekt DC-Industrie 2 erfolgreich mitgearbeitet und engagiert sich jetzt weiter in der Arbeitsgemeinschaft des ZVEI in der Open Direct Current Alliance. Hier arbeiten wir mit anderen Unternehmen und Hochschulen an der Weiterentwicklung und Integration der Gleichstromtechnik in die Industrie und Infrastruktur. Wöhner war und ist ein Trendsetter im Markt und wird auch in diesem Bereich Lösungen bereitstellen.

Ändern sich Wahrnehmung und Bewusstsein für Gleichstrom in der Industrie bereits?

Krichel, Lapp: Der Strombedarf für Industrie, Haushalte und Verkehr wird durch die zunehmende Elektrifizierung in den kommenden Jahren weiter ansteigen. Gleichzeitig klettern auch die Energiekosten in die Höhe. So stellt sich immer mehr die Frage, nach höherer Verfügbarkeit von Strom. Die konsequente Umstellung auf Gleichstrom wäre dafür eine gute Option. Wir wollen dabei mit gutem Beispiel vorangehen. Bei der Errichtung unserer neuen Produktionshalle im französischen Forbach wird nicht nur eine Photovoltaikanlage mit einer Fläche von einigen Tausend Quadratmetern errichtet. Gleichzeitig sollen einige Verbraucher mit dem gewonnenen Gleichstrom in einem reinen DC-Netz mit weniger Wandlern und einer höheren Effizienz versorgt werden. Denkbar ist die Beleuchtung mittels LED-Technik, die Errichtung von E-Ladestationen sowie die Versorgung zahlreicher Antriebe oder Motoren in den Produktionsprozessen. Dafür wird aktuell durch die Zusammenarbeit etwa mit dem Fraunhofer IPA ein wirtschaftliches Konzept erarbeitet.

Steiner, Lenze: Die Wahrnehmung und das Bewusstsein für Gleichstrom in der Industrie haben sich signifikant geändert. Angesichts steigender Strompreise stehen die Unternehmen zunehmend unter Kostendruck. Die Forschung hat gezeigt, dass Gleichstromnetze Energie und Rohstoffe einsparen – und genau das wollen und müssen die produzierenden Unternehmen, um im Wettbewerb zu bestehen.

Hartwig Stammberger, ODCA: Ganz deutlich: JA. Viele Hersteller sind aktiv dabei, Komponenten für Niederspannungs-DC Anwendungen bereitzustellen. Und auf der Anwenderseite ist es ähnlich. Große Industrieunternehmen fokussieren ihre Aktivitäten rund um die Nachhaltigkeit und Energieeffizienz in der Verteilung elektrischer Energie auf Gleichstrom. Die Vorteile der geringeren Leitungsverluste bei weniger Kupferbedarf in der Energieverteilung durch Umstellung von Drehstrom auf Gleichstrom mit je etwa 50 Prozent Reduzierung sind zu offensichtlich. Es braucht weniger Komponenten, wenn die vielen Komponenten, die bereits heute mit DC arbeiten über ein DC-Netz miteinander verbunden werden. Dadurch entfallen viele Wandlungsstufen von DC zu AC und wieder zurück. Die Energie, die heute beim Bremsen von Motoren oder Hubantrieben in der AC-versorgten Fabrik buchstäblich verheizt wird, wird in einem DC-Verbund komplett genutzt.

Helmig, Phoenix Contact: Seit der Gründung der ODCA im Herbst 2022 ist die Anzahl der Mitglieder schon um 50 Prozent gewachsen. Das belegt, glaube ich, das starke Interesse am Markt. Der Ansatz ist natürlich auch nicht nur auf den deutschen Markt beschränkt, so dass wir zunehmend internationale Player in der ODCA begrüßen können. In realen Show Cases bei den Mitgliedsfirmen zeigen wir, dass DC-Netze funktionieren, es inzwischen auch schon viele Produkte mit DC-Fähigkeiten gibt und die Vorteile zum Tragen kommen. Phoenix Contact hat hier z.B. einen Steckverbinder entwickelt, der unter Last gezogen werden kann, ohne dass ein schädigender Lichtbogen den Anwender gefährden kann. In einem neuen Gebäude haben wir ein DC-Teilnetz projektiert und in die Tat umgesetzt. Dort können wir unsere eigenen Produkte erproben und natürlich auch unseren Kunden den funktionierenden Betrieb des DC-Netzes vorstellen. Hier ist sicherlich jeder gefragt, auch eine Vorbildfunktion einzunehmen. Nur gemeinsam können wir den Technologiewandel aktiv gestalten.

Görner, Rittal: Die Industrie befasst sich immer intensiver mit den technischen Möglichkeiten. Dass Stromversorgung und Energiemanagement zukünftig bis an die Grenze des physikalisch Möglichen optimiert werden müssen, liegt auf der Hand. Aus meiner eigenen Erfahrung im Bereich der Hochspannungsnetze schließe ich, dass dieser Prozess im Hinblick auf Gleichstrom trotzdem mehrere Jahre dauern wird. Heute ist bei den Netzen die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung nicht mehr wegzudenken – als Ergänzung zum Wechselstromnetz. Ähnlich ist es in der Industrie zu erwarten.

Grünberg, Weidmüller: Die Wahrnehmung und das Bewusstsein für Gleichstrom ist in den letzten Monaten stark gewachsen. Dazu haben maßgeblich Forschungsprojekte wie DC-Industrie2, das Vorgängerprojekt der ODCA, beigetragen. Hier konnten die Vorteile und Potentiale des Gleichstroms bereits nachgewiesen werden. Die DC-Technologie steigert die Energie-/Ressourceneffizienz und ermöglicht eine hohe Netzqualität sowie eine zuverlässige und sichere Versorgung zur Produktivitätserhöhung – um nur einige Vorteile und Kennwerte zu nennen.

Schulte, Wöhner: Für die Integration in der Industrie und anderen Bereichen wird es noch viele Jahre benötigen. Aktuell gibt es nur einige Projekte bei verschiedenen Firmen, die bereits Anlagen oder die Infrastruktur in Werkhallen oder Bürogebäuden realisiert haben. An der Serienreife von DC-Produkten und dem damit verbundenen großflächigeren Einsatz der DC-Technik wird in vielen Unternehmen gearbeitet. Die Ressourcen- und Energieeinsparung beim Einsatz von Gleichspannung wird den Einsatz allerdings noch befeuern.

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