Eine Neuorientierung ist nötig

Der russische Überfall auf die Ukraine zieht Verschiebungen globaler Machtblöcke nach sich, die auch die europäischen Automatisierer im Blick haben sollten. Neben Rohstoff- und Energieknappheit droht China ein schwierigerer Partner zu werden. Auf der anderen Seite: Das Geschäft mit Wüstenstrom könnte wieder kommen!

Gehört Ihr Unternehmen auch zu denen, die Projekte auf die lange Bank schieben müssen, weil sie auf Sensorik, Steuerungstechnik und andere Komponenten so lange warten müssen? Oder arbeiten Sie selber bei einem der vielen Automatisierungshersteller, die derzeit ihre Geräte neu designen, um elektronische Bauteile zu ersetzen, die derzeit nur zu Mondpreisen und mit Lieferzeiten jenseits von gut und böse zu bekommen sind? Dann habe ich eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie!

Fangen wir mit der guten an: Der amerikanische Chiphersteller Intel baut eine Halbleiterfabrik in Magdeburg. Auf den ersten Blick beeindrucken hier vor allem die 3000 zu schaffenden Arbeitsplätze und das Investitionsvolumen von 17 Milliarden Euro. Da andere Hersteller im Fahrwasser des Chip-Giganten wahrscheinlich ebenfalls europäische Fertigungskapazitäten aufbauen werden, dürfte sich die Abhängigkeit von instabilen Um-die-halbe-Welt-Lieferketten wenigstens mittelfristig erkennbar reduzieren. Das sollte Lieferzeiten wieder verkürzen, und die Preise dürften sich auf einem erträglichen Niveau stabilisieren. Made-in-Germany-Preise ohne Krisenaufschlag halt.

Die schlechte Nachricht: Intels Vorgehensweise hat einen Grund. Die Entscheidung, Chipfabriken sogar im Hochlohnland Deutschland zu bauen, soll in erster Linie die Abhängigkeit von zunehmend als unsicher wahrgenommenen Standorten in Asien und insbesondere China verringern. Dabei sitzen den Strategen in den USA weniger die Pandemie und deren temporäre Logistik-Probleme im Nacken, als eine geostrategische Entwicklung, die sich schon länger anbahnt, mit Putins Überfall auf die Ukraine aber vielen erst so richtig ins Auge sticht: Die von vielen erhoffte Auflösung von Machtblöcken nach Ende des Kalten Kriegs war keine. Vielmehr sind neue globale Blockbildungen zu beobachten.

Wenn man sieht, wer im Weltsicherheitsrat den Einmarsch in der Ukraine nicht klar verurteilt hat, weiß man, auf wen man künftig achten muss: Neben Russland waren das auch China, Indien und Brasilien. Erinnert sich noch jemand, dass das Kürzel BRIC als Zusammenfassung eben jener Länder bei Vertrieblern noch als das Wachstumsfeld der Zukunft gesehen wurde? Wollen wir hoffen, dass BRIC oder Teile davon in Zukunft nicht zum Synonym für No-Go-Area wird. Denkbar ist es: dank Decoupling.

Trend aus den USA

Decoupling: das Schlagwort stammt von Donald Trump und meint die wirtschaftliche Entkopplung von China. Typisch Donald könnte man sagen, aber spätestens mit der Corona-Pandemie waren auch Trumps Gegner hellhörig geworden: Eine eigene Maskenproduktion bekamen die USA nicht auf die Reihe, selbst Wattestäbchen mussten importiert werden, vor allem aus China. Deshalb führt der amtierende US-Präsident Joe Biden das Decoupling mit diplomatischeren Worten fort: Er hat Trumps Strafzölle gegen China unangetastet gelassen und zusätzlich 59 chinesische Firmen auf eine Blacklist gesetzt. Aus Gründen, u.a. der Spionageabwehr, dürfen US-Unternehmen dort nicht mehr investieren.

Das gilt noch nicht für Europa, allerdings zeigt auch die EU langsame Absetzbewegungen von China: Dass das Halbleiterwerk von Intel mit EU-Förderung entsteht, ist ein Indiz. Hier kommen dann auch wieder die Maschinenbauer und Automatisierer ins Spiel. Denn natürlich sind chinesische Fabriken wichtige Lieferanten für europäische Firmen. Allerdings ist für unsere Industrie China als Absatzmarkt weitaus wichtiger. Die Volksrepublik war laut ZVEI auch 2021 wieder der größte Exportabnehmer der deutschen Elektro- und Digitalindustrie. Wenn sich künftig eine weniger regelbasierte, sondern mehr machtbasierte Weltordnung etabliert, könnte China als Lieferant ebenso wie als Markt an Bedeutung verlieren. Für die deutsche Industrie bedeutet das, neben einer Umstellung der Lieferketten auch eine der Absatzmärkte zu vollziehen – eine erhebliche Herausforderung. Da wäre es schön, wenn sich ersatzweise neue Märkte auftäten.

Und das tun sie. Als Beispiel sei da nur die von manchen geplante neue Wasserstoff-Weltordnung genannt. In deren Windschatten taucht ein vor etlichen Jahren in der Versenkung verschwundener Begriff plötzlich wieder auf: Desertec. Die Idee des Deutschen Zentrums für Luft-und Raumfahrt (DLR), in der nordafrikanischen Wüste in großem Stile Solarstrom zu erzeugen, hatte Ende der Nullerjahre eine gewisse Euphorie ausgelöst. Als sich die Initiative 2014 fast auflöste und etliche Großmitglieder (Investoren waren es damals ja nicht wirklich) ausstiegen, wurde es ruhig um das Projekt. Doch nun sind die Voraussetzungen andere: Elektrolyse-Anlagen werden effizienter und preiswerter, das Konkurenzprodukt Erdgas hingegen teurer. Siemens Energy, Thyssen Krupp, RWE und Uniper sind wieder an Bord, und anstelle von Stromtrassen sollen nun Wasserstoffpipelines von Afrika nach Europa gebaut werden. Die rund um derartige Ideen notwendige Infrastruktur dürfte auch für heimische Hightech-Betriebe Optionen bieten.

Ach ja, und auch die langfristige Aufstockung des Wehretats samt kurzfristiger 100 Milliarden Euro zur Ausrüstung der Bundeswehr sollte man nicht außer Acht lassen. Denn neben klassischem Großgerät dürfte sich vor allem in der Hightech-Ausrüstung rund um Radar- und Lasertechnik sowie bei Fluggeräten, autonomen Systemen und Robotern einiges tun in der Zukunft. Die weltpolitische Lage ist schwierig, aber wenn man Scheuklappen ablegt, sollten sich für die deutsche Automatisierungstechnik- und Maschinenbaulandschaft durchaus Perspektiven auftun.

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