Besuch bei der Jahrestagung der ODVA

Auf Integrationskurs

Nach zwei Jahren Pandemie-Pause traf sich die Open Devicenet Vendors Association (ODVA) Anfang März 2022 erstmals wieder live und in Präsenz zu ihrer jährlichen Arbeitstagung samt Kongress in San Diego (USA). Das SPS-MAGAZIN war vor Ort.
 ODVA-Präsident Al Beydoun im Gespräch 
mit Chefredakteur Wolfgang Kräußlich
ODVA-Präsident Al Beydoun im Gespräch mit Chefredakteur Wolfgang KräußlichBild: TeDo Verlag GmbH

Auch in San Diego war es zu spüren: Die Stimmung ändert sich, und das ist auf den stärkeren Einfluss der IT-Denkweise auf die Automatisierungswelt zurückzuführen. Haben sich vor wenigen Jahrzehnten im Feldbuskrieg die Vertreter unterschiedlicher Lager noch richtiggehend bekämpft und sich bei jeder missverständlichen Äußerung auf einer Messe die Anwälte auf den Hals gehetzt, steht heute Zusammenarbeit im Fokus. Zumindest ein Stück weit. Von Kompatibilität oder Kooperation ist zwar noch nicht die Rede, wohl aber von Koexistenz. „Die Nutzer sollten wissen, dass die verschiedenen Standardisierungs-Organisationen enger zusammenarbeiten, als viele denken“, konstatierte denn auch Al Beydoun, Präsident und Executive Director der ODVA.

Die ODVA als internationale Standardentwicklungs- und Handelsorganisation will grundsätzlich offene und kompatible Informations- und Kommunikationstechnologien in der Automatisierungstechnik fördern, gerne natürlich im hauseigenen Netzwerkprotokoll CIP (Common Industrial Protocol) und über Kommunikationstechnologien wie Ethernet/IP oder Devicenet. Damit in der Zukunft eine Interoperabilität von Produktionssystemen und ihre Integration mit anderen Systemen gewährleistet wird, befürwortet die ODVA generell Ethernet-Technologien als Leitprinzip.

Auf dem Kongress in San Diego präsentierten die unterschiedlichen Arbeitsgruppen die Ergebnisse der vergangenen zwei Jahre sowie jeweils einen Ausblick auf zukünftige Projekte. So berichtete Joakim Wiberg von HMS Networks und CTO der ODVA, für das Technical Review Board, bestehend aus Vertretern von Cisco Systems, Endress&Hauser, Harting, HMS Industrial Networks, Honeywell, Molex, Omron, Rockwell Automation und Schneider Electric, dass die ODVA in den vergangenen zwei Jahren 80 neue Spezifikationen erarbeitet hat sowie 27 Volume-Revisions, in denen sich Fehlerbehebungen und Verbesserungen bestehender Spezifikationen finden. Für die kommenden 12 bis 18 Monate seien kleinere Revisionen der Ethernet-APL geplant, darüber hinaus je eine Richtlinie zum Single Pair Ethernet Physical Layer sowie zum GBit Ethernet Physical Layer. Zudem sollen die Empfehlungen des TSN-Ad-Hoc-Komitees umgesetzt werden. Als zukünftige Herausforderungen sah Wiberg die Implementation der unterschiedlichen Arten, Leistung über das Netzwerkkabel zu übertragen, also PoE oder PoDL. Darüber hinaus werde darüber nachgedacht, das Thema ‚drahtlos‘ als eigenen Physical Layer zu etablieren.

 Rund 80 Teilnehmer trafen sich Anfang März 2022 in Präsenz zur Jahrestagung der ODVA in San Diego.
Rund 80 Teilnehmer trafen sich Anfang März 2022 in Präsenz zur Jahrestagung der ODVA in San Diego.Bild: TeDo Verlag GmbH

Trendthemen TSN und SPE

Darren Klug von Rockwell Automation erläuterte die Weiterentwicklung des Netzwerkprotokolls CIP. Es wurden neue Datentypen (NTIME und UTIME) etabliert, um konform mit IEC61131-3 Edition 3 zu sein. Zusätzliche Attribute sollen es zudem ermöglichen, bessere Verbindungen mit OPC-Part-100-Geräten zu erreichen. Was das Thema Netzwerksicherheit angehe, sei CIP laut Klug im Vergleich zu anderen Standards ohnehin weit vorne. Jedoch gebe es Überlegungen, ob eine stärkere Integration von Automation ML in CIP umgesetzt werden soll. Und natürlich ist auch OPC UA als übergreifende Semantik ein Punkt für die ODVA. Eine OPC Compagnion Specification für CIP ist bereits in Arbeit.

Viel Raum nahm das Thema Time Sensitive Networking (TSN) auf der Konferenz ein. Der Standard IEC/IEEE60802 ‚TSN Profile for Industrial Automation‘ ist derzeit in Arbeit, und die verschiedenen industriellen Ethernet-Ableger gehen sehr unterschiedlich damit um. Viele Anbieter warten, bis ein finales 60802-TSN-Profil veröffentlicht ist. In der ODVA wird bereits jetzt daran gearbeitet, um bis zur Veröffentlichung des finalen Standards auch Ethernet/IP vollständig bereit zu haben. Zudem denke man darüber nach, das Protokoll auch bereit für IPv6 zu machen. Zwar sei der erweiterte Adressraum im Vergleich zu IPv4 innerhalb von industriellen Anwendungen nicht notwendig, allerdings würden Fertigungsnetze ja im Zuge einer flexiblen Anlagenplanung immer häufiger mit anderen industriellen Ethernet-Protokollen kombiniert werden, da sei IPv6 unter Umständen hilfreich.

Generell war der Kontakt zu anderen Netzwerkprotokollen ein immer wiederkehrendes Thema, wenngleich mancher Referent nicht direkt von Interoperabilität sprechen wollte, weil das dem Endkunden Funktionalitäten suggerieren würde, die aktuell nicht umsetzbar wären. Stattdessen wurde regelmäßig von Koexistenz der unterschiedlichen Systeme gesprochen, immerhin. Dieser Weg sieht vor, dass Protokolle gegenseitige Ressourcen-Anforderungen an ein zentrales 60802-System wenigstens respektieren sollen.

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Einblicke in die Tiefen der Protokolle

Das auch sehr spezielle technische Aspekte auf der Konferenz stattfanden, zeigt exemplarisch ein auf der Konferenz präsentierter Ethernet-Simulator: Rick Blair von Schneider Electric hatte ein System programmiert, mit dem sich ein industrieller Ethernet-Switch simulieren lies, in dem unterschiedlich priorisierte Pakete von Steuerungen, Antrieben etc. durchgeschleust wurden. Die Priorisierung erfolgte wahlweise Stream-based, Class-based oder Präemptiv. Das Ergebnis: Die Reihenfolge der Pakete erfolgte nicht wie erwartet nach Priorisierung, da große Pakete je nach Weiterleitungsmethode erst vollständig im Switch ankommen müssen, bevor sie weitergeleitet werden. In der Zwischenzeit kommen kleinere Pakete, gegebenenfalls mit geringerer Priorität zum Zug, weil eben gerade Platz im Netz ist. So konnten im Simulator verschiedene Mechanismen (etwa QoS als Standard-Weiterleitungs-Mechansimus gegenüber Cut-Through-Switching oder Präemtion) gegeneinander auf ihre TSN-Tauglichkeit getestet werden. Nerdig, aber cool, auch das war in San Diego geboten.

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