Interview zu 20 Jahre Ethercat

Unverändert erfolgreich

Das von Beckhoff entwickelte und bereits 2003 vorgestellte Kommunikationssystem Ethercat hat sich als leistungsfähiges Echtzeit-Ethernet-Derivat in der Industrie etabliert und erfreut sich einer kontinuierlich wachsenden Anwenderschaft. Im Interview blicken Hans Beckhoff, Johannes Beckhoff und Martin Rostan nicht nur zurück auf eine bewegte Zeit sondern auch voraus auf die künftigen Anforderungen an Kommunikationsstandards.

Hans Beckhoff ist Gründer und Geschäftsführer von Beckhoff sowie der Initator von Ethercat. Sein Sohn, Johannes Beckhoff, ist tätig in der Grundlagenentwicklung des Unternehmens. Martin Rostan ist Senior VP Technology Marketing bei Beckhoff und Executive Director der EtherCAT Technology Group.

Was waren die Gründe, mit Ethercat ein neues Kommunikationssystem zu entwickeln?

Hans Beckhoff: Beckhoff steht seit jeher für PC-basierte Steuerungstechnik. Anfang der 2000er Jahre verfügten PCs dann standardmäßig über Ethernet-Schnittstellen und es gab die ersten Prozessoren mit integrierten Ethernet-Interfaces. Ethercat wurde entwickelt, um dieses neue Potenzial direkt an der Maschine zu nutzen.

Martin Rostan: Ausgangspunkt war, dass bestehende Feldbusse und erste Industrial-Ethernet-Standards mit der Leistungssteigerung der PCs nicht mithalten konnten. Das führte damals zu sehr komplexen Steuerungsarchitekturen. PC-based Control steht hingegen in erster Linie für einen zentralen Steuerungsansatz und benötigt eine entsprechend performante Kommunikationstechnik. Mit Ethercat haben wir diese Lücke geschlossen.

Hans Beckhoff: Richtig, mit Ethernet und der damit zur Verfügung stehenden 100MBit/s-Datenrate konnte die Steuerungstechnik von einer zehnfach höheren Übertragungsgeschwindigkeit profitieren. Die damaligen RS485- und CAN-basierten Netzwerke funktionierten gut, waren aber in ihrer Bandbreite und Leistungsfähigkeit begrenzt.

Welche Aspekte waren für industriell taugliches Ethernet besonders zu beachten?

Hans Beckhoff: Das Ethernet-Protokoll ist für die Übertragung großer Datenmengen und langer Datentelegramme konzipiert und nicht für die im Maschinenumfeld üblichen kleinen Informationseinheiten. Die Aufgabenstellung bestand also darin, eine Synthese zwischen der 100MBit/s-Datenrate und der Automatisierungswelt zu finden. Genau das ist uns mit Ethercat gelungen. Wir haben die hierfür notwendigen technischen Prinzipien neu erfunden und in das Ethercat-Protokoll sowie in die Ethercat-Hardware integriert.

Martin Rostan: Um den großen Flaschenhals bei Ethernet für die Echtzeit-Kommunikation zu umgehen, nutzen wir im Sinne der Protokolleffizienz mehr als 90 Prozent der verfügbaren Bandbreite. Wichtig war zudem, dass die Komplexität des Protokolls vollständig in der Hardware abgebildet und somit die Implementierung für die Gerätehersteller deutlich vereinfacht wurde.

Wie lassen sich die grundlegenden Vorteile von Ethercat zusammenfassen?

Hans Beckhoff: Ethercat hat die Punkt-zu-Punkt-Verbindung von Ethernet übernommen, sodass sich jede Übertragungsstrecke gut diagnostizieren lässt. Weiterhin haben wir schon recht früh beschlossen, mit einem Standard-Ethernet-Telegramm auszukommen und somit auf eine spezielle Kommunikationskarte im Master zu verzichten. Ganz entscheidend ist auch die erwähnte Protokolleffizienz. Nur so lässt sich die hohe Bandbreite für die vielen kleinen Informationseinheiten der zahlreichen Automatisierungsgeräte in einem Telegramm nutzen.

Martin Rostan: Dieses Prinzip ergibt einen weiteren Vorteil: Die Steuerung kann das Prozessabbild schon im Datentelegramm passend zusammenstellen, da Teilnehmer ihre Daten an beliebigen Stellen einfügen oder entnehmen können. Daher entfallen die bei anderen Systemen erforderlichen Bit-Operationen über eine Schnittstellenkarte. Durch den Ethercat-Master wird die Steuerung hingegen in keiner Weise belastet, da ein komplett vorsortiertes Prozessabbild bereitsteht, das direkt verarbeitet werden kann.

Hans Beckhoff: Dieses Prinzip basiert auf der IT-Funktion der Memory Management Unit, die wir dafür zur Fieldbus Memory Management Unit, kurz FMMU, weiterentwickelt haben. Sie ist eine der wesentlichen Eigenschaften von Ethercat und ermöglicht es, Daten im Durchlauf aus einem dezentralen Speicher zu entnehmen und wieder zurückzuschreiben, sodass man ein beliebiges Mapping zwischen den Daten im physikalischen Gerät und den Daten im durchlaufenden Telegramm durchführen kann. Außerdem lassen sich über die FMMU auch einzelne Tasks bzw. Prozessorkerne abbilden und mit entsprechenden Zeitebenen definieren, was der modernen und Task-basierten Steuerungstechnik entspricht. Eine weitere zentrale Eigenschaft von Ethercat sind die Distributed Clocks, mit denen eine definierte und automatisch abgeglichene Systemzeit für das Kommunikationssystem eingeführt wurde. Das ist entscheidend, da fortschrittliche Steuerungskonzepte fast immer Zeitscheiben-basiert sind und synchronisierte Abtastpunkte für die Daten und Signale benötigen. Ein solches Konzept der verteilten Uhren gab es bei den bisherigen Feldbussen nicht.

Werden diese Vorteile so auch im Markt wahrgenommen?

Hans Beckhoff: Auf jeden Fall. Zusammen ergeben sie eine Technologie, die in sich logisch aufgebaut ist und von Ingenieuren weltweit schnell verstanden und akzeptiert wird.

Johannes Beckhoff: Dem kann ich nur zustimmen, auch wenn ich bei der frühen Entwicklung selbst nicht dabei war. Ethercat ist in seinen Eigenschaften ein hochleistungsfähiges und dabei einfaches und logisches Protokoll. Ohne auf die anderen Systeme geblickt zu haben, hat sich für mich daher von Anfang die Frage gestellt: Wie sollte man Industrial Ethernet denn sonst umsetzen?

Wie hat der Markt auf die Ethercat-Vorstellung auf der Hannover Messe 2003 reagiert?

Hans Beckhoff: Das war auf jeden Fall ein besonderes Ereignis. Anhand einer 4m breiten Präsentationswand wurde das Prinzip prominent vorgestellt. Mithilfe von Oszilloskopen konnte zudem die Echtzeitfähigkeit demonstriert werden. Dementsprechend begeistert waren die Kunden. Und die Wegbegleiter aus den anderen Feldbusorganisationen sowie von anderen Steuerungsanbietern waren augenscheinlich beeindruckt.

Wichtiger Faktor für den Erfolg von Ethercat war die Offenlegung des Protokolls und die Gründung der Ethercat Technology Group, kurz ETG, zur SPS-Messe 2003.

Hans Beckhoff: Richtig, die Gründung der ETG hat sicher ebenso viel wie die Technologie zum Erfolg beigetragen und Ethercat weltweit bekannt gemacht. Ohne die Nutzerorganisation wäre Ethercat wahrscheinlich eine spannende Technologie mit einigen Anhängern geblieben, hätte aber nie die heutige Verbreitung als weltweit akzeptierter Standard erreicht.

Martin Rostan: Unsere Erfahrungen mit den vielen bestehenden Kommunikationssysteme sind nicht nur technologisch, sondern auch hinsichtlich der Vor- und Nachteile der jeweiligen Nutzerorganisationen in die ETG eingeflossen. Dazu gehört wiederum der Aspekt der Offenheit: Unsere Mitglieder schätzen es, wie die Entwicklung von Ethercat gemanagt wird – einerseits mit Beckhoff als Technologietreiber, andererseits aber auch durch das Berücksichtigen der Anforderungen aller Partner. Dieses Prinzip hat sich klar bewährt: Mit über 7.000 Mitgliedern aus 72 Ländern ist die ETG die mit Abstand größte Feldbusorganisation. Wichtig für die Anwenderorientierung ist außerdem, dass von Beginn an nicht nur Gerätehersteller, sondern auch Endanwender beteiligt waren.

Ethercat feiert nun sein 20-jähriges Jubiläum. Was macht den Kommunikationsstandard bis heute attraktiv?

Hans Beckhoff: In den letzten 20 Jahren mussten wir keine Änderungen am grundsätzlichen Protokoll durchführen. Hinzu kommt, dass wir die Ethercat-Prinzipien auch in andere Anwendungsebenen eingebracht haben, z.B. mit dem Ethercat Automation Protokoll (EAP) für die Steuerung-zu-Steuerung-Kommunikation. Weiterhin wurde die Erweiterung Ethercat G eingeführt, als 1GBit/s- und als 10GBit/s-Variante. Das Ethercat-Protokoll funktioniert also auch bei rasant steigenden Geschwindigkeiten.

Martin Rostan: Es ist ein Alleinstellungsmerkmal von Ethercat, dass die Technologie an sich nie geändert werden musste. Das im Chip enthaltene Basisprotokoll ist stets gleichgeblieben und immer nur vollständig abwärtskompatibel erweitert worden. Gleiches gilt für Safety over Ethercat, bei dem die Abwärtskompatibilität ebenfalls durchgängig gegeben ist. Und selbst in Ethercat-G-Netzen lassen sich nach wie vor 100MBit/s-Geräte einbinden und betreiben. Dementsprechend funktioniert ein heutiges Ethercat-Gerät auch in einer 20 Jahre alten Anlage, was für viele Anwender schon Grund genug ist für den Einsatz. Durch Ethercat G besteht zudem ausreichend Potenzial, um Highend-Anforderungen der nächsten 20 Jahre ohne Technologiebruch problemlos zu erfüllen.

Johannes Beckhoff: Mit Ethercat G lassen sich extrem datenintensive Anwendungen realisieren, z.B. Planar- oder Vision-Applikationen – mit mehreren kByte Daten in einem Sub-ms-Zyklus. Eine GBit/s-Datenrate ermöglicht bereits große Xplanar-Systeme mit über 100 Kacheln. Grundsätzlich gilt das auch für das lineare Transportsystem XTS. Es funktioniert wunderbar mit einer Übertragungsrate von 100MBit/s, wäre aber ohne das effiziente Ethercat-Protokoll überhaupt nicht möglich, da auch hier mehrere kByte Daten bei sehr kurzen Zykluszeiten von 250µs übertragen werden müssen.

Welche Themen stehen aktuell und mittelfristig im Fokus der Ethercat-Entwicklungen?

Hans Beckhoff: Als Ethernet-basiertes System wird Ethercat weiterhin den im Markt zur Verfügung stehenden Hardware-Layern folgen. Das bestehende Spektrum an Beckhoff-spezifischen Koppler-Ausführungen wird auch zukünftig erweitert. Ein wesentlicher Entwicklungsschritt ist zudem die Einführung von Ethercat P, also die Integration von Daten und Power in einem vieradrigen Standard-Ethernet-Kabel. Unsere Serie an Ethercat-P-Hybridsteckverbindern in den Baugrößen B12, B17, B23 und B40 wird künftig in einer IEC-Norm als Standard-Rundsteckverbinder für die dezentrale Automatisierung enthalten sein.

Martin Rostan: Ein weiterer in der Automatisierung zunehmend wichtiger Aspekt ist das Thema Cyber Security. Hier bietet Ethercat ebenfalls Vorteile, da es aufgrund seiner Architektur und seiner spezifischen Eigenschaften bereits systemimmanent alles mitbringt, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden. Und auch in diesem Fall kommt Ethercat ohne eine neue Protokollversion, Hardware-Änderungen oder spezielle Maßnahmen aus.

Beckhoff Automation GmbH & Co. KG

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