Aufbau von privaten 5G-Netzwerken im industriellen Umfeld

Der Mehrwert liegt in der Infrastruktur

Aktuelle private 5G-Netzwerke basieren auf dem Release 15, von dessen Mehrwert die Industrie auf den ersten Blick nur bedingt profitieren kann. Warum sich der Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur trotzdem lohnt, zeigt das Beispiel bei Phoenix Contact.
 Einsatz des industriellen 5G-Routers von Phoenix Contact in der Fertigung.
Einsatz des industriellen 5G-Routers von Phoenix Contact in der Fertigung.Bild: Phoenix Contact Deutschland GmbH

Beim Einsatz im industriellen Umfeld verspricht der neue Mobilfunkstandard 5G viele Neuerungen. Es wird allerdings noch dauern, bis alle Innovationen spezifiziert und in Form von industrietauglichen Produkten verfügbar sind. Doch eine für die Industrie entscheidende Neuerung steht bereits heute bereit: Der Frequenzbereich von 3,7 bis 3,8GHz ist explizit für die Realisierung von privaten 5G-Netzwerken reserviert. Seit Ende 2019 können Unternehmen die Nutzung dieser Frequenzen für 5G auf ihrem Gelände beantragen. Die Bundesnetzagentur gibt regelmäßig Auskunft darüber, welche Betriebe an welchen Orten eine solche Lizenz halten. Bis dato haben deutschlandweit insgesamt 84 Unternehmen eine Lizenz angefordert und diese auch bekommen, darunter auch Phoenix Contact.

Am Standort Bad Pyrmont befinden sich die Elektronikentwicklung, die Fertigung von Komponenten und Lösungen für die Automatisierung und Digitalisierung sowie die Produktion von elektronischen Interface- und Kommunikationssystemen. Darüber hinaus werden hier neue Konzepte im Bereich der intelligenten Gebäudeautomation umgesetzt. Mit 1.500 Mitarbeitenden und einer unterschiedlichen Gebäudeverwendung als Büro-, Labor- und Fertigungsfläche stellt der Standort die ideale Lokalität dar, um ein unternehmensweites Konzept für den Einsatz privater 5G-Netze zu entwickeln. Dabei zielen die Aktivitäten insbesondere darauf ab, die Architektur privater 5G-Netze besser zu verstehen und Use Cases zu identifizieren.

 Installation der 5G-Zugangspunkte, den sogenannten 
RAN (Radio Access Network).
Installation der 5G-Zugangspunkte, den sogenannten RAN (Radio Access Network).Bild: Phoenix Contact Deutschland GmbH

Isolierte Infrastruktur für individuelle Services

Bei der Planung eines privaten 5G-Netzes ist es entscheidend herauszufinden, welche grundsätzliche Architektur zu den Anforderungen des Unternehmens passt. Allgemein wird häufig davon ausgegangen, dass ein privates 5G-Netz in Eigenregie aufgebaut und verwaltet wird. Dadurch entsteht auf dem Gelände eine physikalisch und logisch isolierte Mobilfunkinfrastruktur, die optional mit einem öffentlichen Netz verbunden werden kann. In dieser isolierten Infrastruktur lassen sich individuelle Services für Endgeräte bereitstellen, z.B. Zugriffe auf interne Datenbanken oder Steuerungsprozesse. Außerdem findet eine zentrale Verwaltung sämtlicher Teilnehmer statt, wobei Rechte speziell zugewiesen werden können. Das Unternehmen fungiert somit als Mobilfunkbetreiber, zwar in einem überschaubaren Rahmen, aber mit allen administrativen und organisatorischen Aufgaben. Zu diesen Aufgaben gehört beispielsweise SIM-Karten-Profile zu erstellen und zu verwalten, alte Geräte aus dem 5G-Netz zu nehmen und neue hinzuzufügen sowie das Netz selbst zu warten. Diese Tätigkeiten ziehen einen hohen Aufwand nach sich, der schnell nicht mehr im OT-Bereich (Operational Technology) zu bewältigen ist, sondern durch die Unternehmens-IT übernommen wird.

Von diesem umfassenden Ansatz der privaten 5G-Netze ausgehend gibt es verschiedene Möglichkeiten, Teile des Netzwerks oder administrative Aufgaben auszulagern. Mobilfunk-Provider bieten ebenso wie Ausrüster unterschiedliche Modelle zur Realisierung privater 5G-Netzwerke an. Die entscheidende Frage ist dabei, ob der Datenstrom lokal auf dem Campus bleibt oder nicht. Falls nicht, lässt sich bereits ein privates 5G-Netzwerk umsetzen, indem der Provider ein Network Slice zur Verfügung stellt, das vom Unternehmen für individuelle Services und Funktionen verwendet wird. Im privaten 5G-Netzwerk am Standort Bad Pyrmont sind sämtliche Bestandteile des Netzwerks sowie die Daten lokal angesiedelt. Eine solch umfassende Architektur ermöglicht die Bewertung der Optionen und Aufwände eines privaten 5G-Netzwerks.

 Installation der 5G-Endgeräte direkt in den Anlagen.
Installation der 5G-Endgeräte direkt in den Anlagen.Bild: Phoenix Contact Deutschland GmbH

Keine Netzwerküberlastung durch externe Endgeräte

Derzeit befindet sich die 5G-Technologie weiterhin in der Entwicklung. Daher sind fast ausschließlich Infrastruktur und Geräte erhältlich, die das Release 15 unterstützen. Dieser Entwicklungsstand zeichnet sich vor allem durch sehr hohe Datenraten im GBit-Bereich aus. Allerdings benötigt kaum eine industrielle Applikation eine so schnelle Übertragungsgeschwindigkeit. Wo liegt also der aktuelle Mehrwert von privaten 5G-Netzen für die Industrie?

Der industrielle Bereich zieht einen Nutzen aus der privaten Mobilfunk-Infrastruktur selbst. Durch den Einsatz lizensierter Frequenzbänder lassen sich lediglich zugelassene Endgeräte installieren. Dadurch sind alle Datenströme im Netzwerk kalkulierbar, und es kann keine Überlastung des Netzwerks durch externe Endgeräte auftreten. Ferner wird die private Infrastruktur vollständig von Technologien im lizenzfreien ISM-Spektrum – etwa WLAN oder Bluetooth – entkoppelt. Deshalb überlasten fremde Nutzer das Frequenzspektrum nicht. Ein privates 5G-Netz erweist sich folglich als sehr zuverlässig, weil es von vielen Störeinflüssen isoliert ist. Hinzu kommt, dass die Daten der Applikationen wesentlich kürzere Wege zurücklegen. Im Vergleich zu öffentlichen Mobilfunknetzen fällt die Latenz der Daten deutlich geringer aus – und das sogar ohne Funktionen wie Ultra Reliable Low Latency Communication (uRLLC).

 Die gesamte Architektur des 5G-Netzwerks befindet 
sich auf dem Gelände von Phoenix Contact.
Die gesamte Architektur des 5G-Netzwerks befindet sich auf dem Gelände von Phoenix Contact.Bild: Phoenix Contact Deutschland GmbH

Zentralisierter Ansatz mit direktem Zugriff auf die Teilnehmer

Bei den meisten Anwendungen, die schon heute von privaten 5G-Netzen profitieren, handelt es sich um klassische Wireless-Applikationen, die grundsätzlich ortsveränderlich sind. Hierunter fallen nicht nur die oftmals diskutierten Fahrerlosen Transportsysteme, sondern ebenso einfache Anwendungen wie modulare Maschinenteile, Handscanner, Drucker oder ähnliches. Dies besonders dann, wenn die Applikationen einen direkten Zugang zu Services im Unternehmensnetzwerk erfordern. In einem solchen Fall zeichnen sich private 5G-Netze durch ihren Infrastrukturcharakter aus: Sämtliche Anwendungen nutzen die gleiche Infrastruktur und werden zentral organisiert. Durch die Zuweisung unterschiedlicher Rechte sowie verschiedener Network Slices lassen sich die Applikationen in diesem Fall logisch voneinander trennen.

Der Betrieb dieser Wireless-Infrastruktur für ein komplettes Unternehmen bedingt einen administrativen Aufwand sowie ein individuelles Konzept. Daher ist der Mehrwert erst dann erkennbar, wenn eine Vielzahl von Endgeräten in unterschiedlichen Bereichen verwendet und zentral verwaltet wird. Die GBit-Kommunikation trifft sicher nicht die Bedürfnisse der Mehrzahl der Anwendungen. In den nächsten Jahren wird die Diversität der 5G-Endgeräte jedoch erheblich zunehmen und zahlreiche Applikationen der Logistik sowie Fabrik- und Gebäudeautomatisierung adressieren. Aufgrund der neuen Funktionen von 5G lassen sich weitere Anwendungen und Modellkonzepte umsetzen, z.B. im Bereich der Sicherheit und Logistik. Im Hinblick auf datenbasierte Trendthemen wie Digitaler Zwilling oder Big-Data-Analysen durch künstliche Intelligenz bietet der zentralisierte Ansatz privater 5G-Netze den direkten Zugriff auf Endgeräte, was die Speicherung der Daten seitens des IT-Umfelds vereinfacht.

Fazit

Bis der Mobilfunkstandard 5G sein volles Potenzial in privaten Netzen entfaltet, wird es noch eine Weile dauern. Aber es ist bereits jetzt sinnvoll, private 5G-Netze aufzubauen und Erfahrungen zu sammeln. Denn es liegt auf der Hand, dass eine solche Infrastruktur eine große Schnittstelle zwischen OT und IT darstellt, die langfristig sinnvoll eingesetzt und organisiert sein will.

Phoenix Contact, Quectel und Ericsson haben gemeinsam den ersten industriellen 5G-Router für lokale industrielle Anwendungen in einem privaten 5G-Netzwerk entwickelt. Mit dem 5G-Router lassen sich industrielle Anwendungen – wie Maschinen, Steuerungen und andere Geräte – mit einem privaten 5G-Netzwerk verbinden, sodass ihre Ressourcennutzung, Priorität und ihr Verhalten koordiniert werden können. Das Gerät bietet daher einen entscheidenden Vorteil gegenüber bisherigen Funklösungen, die meist lizenzfreie Funkbänder nach dem Best-Effort-Prinzip verwenden und bei starker Belegung des Funkspektrums Leistungsverluste hinnehmen müssen. Zur Entwicklung des 5G-Routers haben die drei Unternehmen ihre Stärken kombiniert: Phoenix Contact als Hersteller von WLAN-, Bluetooth- und Mobilfunk-Routern für industrielle Anwendungen, Quectel als Anbieter von Mobilfunk- und GNSS-Modulen sowie Ericsson als Netzwerk-Provider und Unternehmen der 5G-Technologieentwicklung. Im Rahmen der Kooperation wurden im Ericsson-Labor umfangreiche Interoperabilitätstests durchgeführt, um die zuverlässige industrielle Leistung des 5G-Routers sicherzustellen. Die gewonnenen Erfahrungen sind für Ericsson von großer Bedeutung, wenn es darum geht, gemeinsam mit Mobilfunknetzbetreibern 5G-Lösungen für die Industrie zur Verfügung zu stellen.

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