Brauchen Sie Hamster?

Elektronische Bauteile, Rohstoffe, Speiseöl und Mehl - was nicht alles rar wird dieser Tage. Da lohnt es doch, einen Vorrat anzulegen, möchte man meinen. Doch wenn die Eichhörnchen sich wie Heuschrecken aufführen, wird es teuer.

Der Trend ist klar sichtbar: Immer mehr Firmen füllen ihre Lager, um im Ernstfall lieferfähig zu bleiben. Das treibt die Umsätze der Industrie – und die Preise. Nahezu überall sind Rohstoffe und Bauteile knapp. Rund 75 Prozent der Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe berichten derzeit von Engpässen bei Vorprodukten, meldet das Ifo-Institut als Ergebnis einer aktuellen Umfrage. Entsprechend ist die Auftragslage in den Grundstoffindustrien, bei Stahl, Kunststoff oder Chemikalien, grandios. 19% mehr Umsatz bei BASF, plus 44% bei Lanxess, das erste Quartal liegt in diesem Sektor durchweg über den Erwartungen.

Dabei dürfte es sich allerdings zu einem großen Teil um Hamsterkäufe handeln. Lageraufbau heißt die Devise. Die verarbeitende Industrie hat volle Auftragsbücher und versucht, sich jedes verfügbare Vorprodukt zu sichern. Vorbei die Zeiten, als minimalistische Lagerhaltung eine Tugend jedes Finanzchefs war, Just-in-Time das unumstößliche Credo. Heute heißt Just-in-Time, dass jede Lücke im üppig gefüllten Lager sofort wieder gefüllt werden will.

Resilienz vor Effizienz

Lieferfähigkeit geht derzeit vor Preis. Das wissen auch Automatisierer. Sensorhersteller Sick zum Beispiel hat seine Lagerbestände im Jahr 2021 um circa 20% aufgestockt, auf satte 475 Millionen Euro, wie Finanzchef Markus Vatter gegenüber dem Handelsblatt erklärte. Was früher als totes Kapital galt, ist heute eine Versicherungspolice.

Allerdings, die letzten sechs Flaschen Sonnenblumenöl im Supermarkt aufzukaufen, obwohl daneben noch Dutzende Flaschen Olivenöl stehen, ist auch nicht die klügste Strategie. Und so sitzen abteilungsweise Entwickler daran, alternative Bauteile und Materialien zu beschaffen und diese in ihre Geräte hineinzudesignen. Auf der anderen Seite: Einige Produkte lassen sich schlecht lagern, wie mancher Hamster merken wird, wenn sich Mehlwürmer in seiner Speisekammer ausbreiten. Ein weiteres Gut, das sich leider schlecht lagern lässt, ist Energie. Und so mahnte auch Innenministerin Nancy Faeser (SPD) vor kurzem aus Sorge vor russischen Cyberattacken auf das Stromnetz an, man solle immer einen Notvorrat zu Hause haben. Denn der befürchtete großflächige Blackout hätte massive Folgen. Der gesamte Kommunikations- und Informationsfluss wäre gestört. Da ohne Strom kein Sprit aus den Zapfsäulen kommt, stände die Logistik – für die Industrie ebenso wie für die Versorgung der Supermärkte mit Lebensmitteln -still.

Kein Ende in Sicht

Wirtschaftsforscher rechnen bislang nicht damit, dass sich die Versorgungslage kurzfristig entspannt – die aktuellen Lockdowns in China üben weiteren Druck auf die ohnehin gestressten Lieferketten aus, auch der Krieg in der Ukraine könnte länger andauern. Und so hamstern viele Unternehmen weiter – sogar Schrauben, wie Hersteller Würth konstatierte.

Nach vorläufigen Berechnungen des Statistischen Bundesamtes verzeichneten die Verbraucherpreise im April einen Anstieg von 7,4 Prozent – der höchste Wert seit Herbst 1981. Das Problem: Ist ein Inflationsprozess erst einmal in Gang, ist nie sicher, wie er endet. Immerhin: Wir haben keine Nachfrage- sondern eine Angebotsinflation. Statistisch nachgewiesen ist als Hauptpreistreiber in den vergangenen zwölf Monaten der Anstieg der Kosten bei importierten Rohstoffen und Energieträgern wie Erdöl, Erdgas und Kohle gewesen. Wie das Statistische Bundesamt für Februar 2022 (noch vor dem russischen Einfall in der Ukraine) meldete, war importierte Energie 129,5% teurer als im Vorjahresmonat, im Inland erzeugte Energie kostete 68% mehr. Und eine Angebotsinflation lässt sich durch sparsames Wirtschaften abmildern.

Energie- und Ressourceneffizienz als Erfolgsfaktor

Der Krieg in der Ukraine lässt die Preise für Energie weiter steigen, je länger er dauert. Neue Sanktionen und die generelle langfristige Abkehr von russischen Energiequellen sind damit eine sehr verlässliche Planungsgrundlage. Das Schöne daran: Bei solchen Gewissheiten lohnt sich die Entwicklung nachhaltiger Technologien endlich auch aus wirtschaftlicher Sicht. „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“ lautet ein altes Sprichtwort, und Sparsamkeit ist es, was wir unserer gesamten Wirtschaft angewöhnen sollten. Nicht nur als Vorsichtsmaßnahme gegen Krieg und Lockdown, auch für Umwelt und Klima.

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