Interview mit Baumüller-Chef Andreas Baumüller

Gerade jetzt ist Innovation wichtig

In den letzten zwei Jahren musste nicht nur die Gesellschaft auf viele neue Ereignisse reagieren, sondern auch der Maschinenbau und mit ihm die Automatisierer. Im Gespräch mit dem SPS-MAGAZIN erklärt Andreas Baumüller, Geschäftsführer des gleichnamigen Antriebsherstellers, wie er sein Unternehmen durch diese Unwägbarkeiten manövriert hat und mit welchen Maßnahmen er es zukunftsfähig positioniert.

Wo lagen die großen Pain Points der vergangenen Monate aus Ihrer Sicht, Herr Baumüller?

Andreas Baumüller: Wir haben in der Branche alle die gleichen Herausforderungen – erst Corona, jetzt vor allem die Engpässe beim Material. Allen Umständen zum Trotz haben wir es im letzten Geschäftsjahr geschafft, ein Umsatzwachstum von über 20 Prozent zu generieren. Gleichzeitig arbeiten wir gezielt an neuen Produkten, um uns zukunftsfähig aufzustellen.

Wie steht es um die Lieferfähigkeit?

Baumüller: Durch verschiedene Maßnahmen ist es uns gelungen, unsere Kunden bis dato sowohl elektronik- als auch motorseitig durchgehend zu beliefern. Die Lieferfähigkeit weiter zu sichern, das ist unser oberstes Ziel. Ich gehe davon aus, dass uns das in Zukunft auch weiterhin gelingt. Wenn auch mit großen Anstrengungen und hohem Engagement – auf das sich Baumüller dankbarerweise bei den eigenen Mitarbeitern und auch bei den Lieferanten verlassen kann.

Worauf kommt es aus Ihrer Sicht am meisten an?

Baumüller: In der momentanen Situation funktioniert es nur, wenn man bereit ist, seine Arbeitsweise zu verändern und Prozesse anzupassen. Kurzum: Man muss flexibler werden, ohne Kompromisse bei der Qualität einzugehen. Das ist durchaus ein Spagat – der uns wohl auch noch einige Zeit gelingen muss. Solange, bis sich die Lieferketten wieder normalisieren. Interessanterweise haben sich in den neuen Arbeitsweisen auch Vorteile gezeigt, die wir auch künftig beibehalten werden.

Viele Unternehmen setzen aktuell auf Reshoring, um die Lieferketten zu verkürzen. Wie bewerten Sie diesen Punkt?

Baumüller: Wir fahren schon länger eine Mischstrategie und sind recht dezentral aufgestellt, was die Belieferung mit den wichtigsten Komponenten und Bauteilen angeht. Das gilt für alle Wirtschaftsräume, in denen wir präsent sind – egal ob Europa, Asien oder Amerika. Trotzdem mussten auch wir in den letzten Monaten auf Lieferketten setzen, die besonders resilient und belastbar sind. Die politischen Rahmenbedingungen, die sich seit Februar nochmals deutlich verändert haben, machen es nicht einfacher.

Haben sie sich darauf ausgewirkt, wo und wie Baumüller produziert?

Baumüller: Vom Ukrainekrieg ist keine unserer Produktionsstätten unmittelbar betroffen. Insgesamt baut Baumüller sein Produktionsnetzwerk so aus, dass die lokale Wertschöpfung in allen Regionen zunimmt. So fertigen wir in Europa vor allem für den klassischen europäischen Markt. Stark erweitert wurde unsere Produktionskapazität in Asien, um für den dortigen Markt zu produzieren. Weil das Industriegeschäft in Amerika wieder spürbar anzieht, haben wir uns dort ebenfalls noch besser aufgestellt – nicht nur in den USA, sondern auch mit Blick auf Kanada und Mexico.

Wie haben sich die vergangenen zwei Jahre auf Ihr Portfolio bzw. die Nachfrage auf Kundenseite ausgewirkt?

Baumüller: Die kontinuierliche Weiterentwicklung unserer klassischen Automatisierungs- und Antriebs-Produktpalette haben wir unabhängig von den aktuellen Ereignissen fortgeführt. Unsere Kunden erwarten, dass wir trotz der momentanen Herausforderungen an Innovationen arbeiten. Auf den kommenden Messen wie etwa der SPS werden wir zahlreiche neue Produkte und Systeme vorstellen – beispielsweise eine komplett neue Generation an Servoantrieben oder eine neue Motoren-Baureihe. Auch die Resonanz auf die digitalen und vernetzten Lösungen unseres Smart-Value-Angebots ist seit Beginn der Pandemie sehr stark gewachsen. Für all das, was man unter Industrie 4.0 versteht, war Corona sicherlich eine Art Beschleuniger – gerade für Themen wie Fernzugriff, virtuelle Inbetriebnahme oder den digitalen Zwilling. Doch auch dafür, wie sich durch intelligente Vernetzung und künstliche Intelligenz die Wertschöpfung erhöhen bzw. Geschäftsprozesse verbessern lassen. Diese Entwicklung wird sich durch die jetzt bereits generierten Vorteile auch weiterhin fortsetzen. Das Rad lässt sich nicht zurückdrehen. Im Bereich Automatisierungs- und Antriebstechnik positioniert sich Baumüller seit jeher als Enabler für Industrie 4.0, um Effizienzgewinne umzusetzen. Deswegen schlägt sich dieser Trend auch ganz klar in unseren Produkten nieder.

Haben Sie das Gefühl, dass Industrie 4.0 jetzt wirklich beim Anwender angekommen ist?

Baumüller: Das ist definitiv so – das spüren wir jeden Tag in der Zusammenarbeit mit unseren Kunden. In allen unseren Marktsegmenten ist dieser Trend sichtbar – egal ob im klassischen Maschinenbau oder in der E-Mobilität. Die Notwendigkeit für digitale Werkzeuge ist auf jeden Fall beim Kunden angekommen. Ebenso, dass sich nur damit künftig die nötigen Effizienzgewinne generieren lassen, um dauerhaft wirtschaftlich zu produzieren. Baumüller bietet bereits heute viele digitale Bausteine an, um den Kundennutzen von Automatisierungs- und Antriebssysteme nochmals zu erhöhen und das Produkt-Handling über den kompletten Lebenszyklus zu verbessern.

Spielt die moderne Digitalisierung und Vernetzung für Baumüller also eine wesentliche Rolle dabei, um sich vom Komponentenhersteller zum Lösungsanbieter zu entwickeln?

Baumüller: Mit Sicherheit. Wie gesagt bilden die digitalen Werkzeuge die Basis für künftige Effizenz-, Komfort- und Nachhaltigkeitsansprüche Doch auch wenn Industrie 4.0 die Automatisierung nochmals auf ein neues Level heben soll, müssen sich physische Achsen in der Fabrik koordiniert bewegen. Und das geht nicht ohne die entsprechende Hardware. Erst durch das passende Zusammenspiel von moderner Hardware und Software lässt sich ein Lösungspaket schnüren, mit dem der Kunden auch den Endanwender überzeugen kann. Also: Auch wenn der Stellenwert der Software weiterhin steigt, benötigt der Anwender am Ende des Tages immer die passende Kombination aus beidem. Darauf sind wir ausgerichtet.

Fokussiert sich Baumüller diesem Gedanken folgend dann automatisch im Highend-Bereich?

Baumüller: Nein, wir legen uns nicht auf eine bestimmte Innovationsausprägung fest. Stattdessen bieten wir ein skalierbares Portfolio an, das die Anforderungen unserer Kunden optimal abdeckt. Der entscheidende Punkt ist, dass man die passenden Mehrwerte für das jeweilige Nutzerverhalten bietet.

Wie prägt der wachsende Anspruch an Klima- und Emissionsschutz Ihr Unternehmen, Herr Baumüller?

Baumüller: Diesem Thema räumen wir einen sehr hohen Stellenwert ein. Zum einen durch wiederkehrende Optimierungsprozesse, die den Verbrauch unserer Bürogebäude und Produktionsstätten reduzieren. Zum anderen berücksichtigen wir bei Neubauten oder Modernisierungen entsprechende Technologien. Damit erreichen wir eine gute und sich kontinuierlich verbessernde Energiebilanz. Parallel spiegelt sich die Ressourceneffizienz natürlich immer deutlicher in unserem Produkt- und Lösungsportfolio wider. So bieten wir unseren Kunden nicht nur hocheffiziente Antriebstechnik, sondern ermöglichen ebenso die Reduzierung des Energieverbrauchs durch intelligente Tools wie unser neues Energiemonitoring. Dieses unterstützt bei der Ermittlung des Product Carbon Footprint (PCF) und hilft den Anwendern dabei, ihren CO2-Footprint zu reduzieren.

Wo findet sich aus Ihrer Sicht der größte Hebel in Sachen Effizienz und Ressourcenschutz?

Baumüller: Es kommt meiner Meinung nach wieder auf die richtige Mischung an. Das Paket aus Hardware und Software muss stimmen. Zudem bedarf es einer möglichst intelligenten Datennutzung, um applikations- und prozessbezogen am meisten Effizienz aus Servoantrieben, Motoren und Steuerungen herauszuholen. Was früher in dieser Form überhaupt nicht denkbar war, schreitet heute mit großen Schritten voran – und schafft eine ganz neue Optimierungsebene. Voraussetzung ist aber, dass der Anwender diese auch beherrschen kann.

Was bedeutet das konkret?

Baumüller: Um Lösungen verkaufen zu können, die auf smarter Datenerfassung und Analyse basieren, muss der Anwender nicht nur verstehen, was er davon hat, sondern auch, wie er sie gut einsetzen kann. Mit diesem Anspruch haben wir uns im Haus die letzten Jahre stark auseinandergesetzt – und sogar eine eigene Abteilung aufgebaut, die auf künstliche Intelligenz spezialisiert ist. Dadurch können wir die passende Beratung und Services anbieten. Denn wir gehen davon aus, dass unsere Kunden und deren Endkunden in nächster Zeit auch selbst viel zusätzliches Knowhow in diesem Bereich generieren wollen. Schließlich ist das Potenzial dieser Technologie immens. Ein anderer Aspekt unserer Smart-Value-Strategie ist es, KI-Funktionen so in unseren Antriebslösungen zu verpacken, dass der Anwender sie einsetzt, ohne sich damit überhaupt auseinander setzen zu müssen. Die KI läuft dann vollautomatisch im Hintergrund und schützt zum Beispiel die Maschinenmechanik, reduziert Stillstandszeiten oder senkt den Materialverbrauch.n

Baumüller Nürnberg GmbH

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