Modulares Montage- und Logistikkonzept bei Audi

Kurz vor der Serienreife

Das Fließband stößt in der Automobilproduktion zunehmend an seine Grenzen. In einem starren, sequenziellen Prozess lassen sich die Individualisierungsmöglichkeiten moderner Fahrzeuge immer schwerer beherrschen. Audi führt deshalb die modulare Montage als neue und zusätzliche Organisationsform ein. Mitarbeitende montieren dabei Bauteile taktungebunden an Fertigungsinseln, während sie von fahrerlosen Transportsystemen mit dem benötigten Material versorgt werden. Parallel setzt der Automobilhersteller in der Fertigung zunehmend auf KI- und Edge-Cloud-Lösungen.
Bild: Audi AG

Die Produktion muss immer flexibler an spezifische Kundenbedarfe, an kurzfristige Marktveränderungen angepasst werden. Eine Komplexität, die sich mit der klassischen Fließbandmontage nur noch schwer abbilden lässt. Im Gegensatz zu deren Prinzip – einheitliche Taktzeit für jedes Produkt an jedem Arbeitsplatz in fester Abfolge – funktioniert die modulare Montage ohne Band und einheitlichen Arbeitstakt.

An die Stelle des starren Fließbands sollen bei Audi dynamische Abläufe mit einer variablen Abfolge der Stationen und variantenabhängigen Bearbeitungszeiten rücken. Als Vorbereitung für den späteren Serieneinsatz wurde das Konzept bereits in der Vormontage von Türinnenverkleidungen im Werk Ingolstadt umgesetzt. „Die Modulare Montage ist eine unserer Antworten auf die zukünftigen Anforderungen“, betont Gerd Walker, Audi Vorstand für Produktion und Logistik. „Wir nutzen hier digitale Technologien zum Vorteil für die Mitarbeitenden und erhalten gleichzeitig eine flexiblere und effizientere Montage.“ Im Pilotprojekt bestätigten sich zum einen die Machbarkeit und zum anderen das Potenzial der modularen Montage. Ein großer Vorteil des flexiblen Systems: Audi kann Mitarbeitende beschäftigen, die in der Linie aufgrund von körperlichen Einschränkungen nicht mehr eingesetzt werden können. „Wir sind in der Lage, die Arbeitsumgebung an deren Verhältnisse anzupassen, was am Fließband heute nur sehr bedingt möglich ist“, erklärt Projektleiter Wolfgang Kern. Alle Mitarbeitenden sollen von einer gleichmäßigen Arbeitsbelastung durch eine variantenabhängige Bearbeitungszeit profitieren.

Bild: Audi AG

Mehr Flexibilität und Produktivität

Im Testbetrieb folgen die Aufträge nicht mehr einer einheitlichen Reihenfolge, sondern dem jeweiligen Bedarf. Fahrerlose Transportsysteme (FTS) befördern die Türverkleidungen genau an die Stationen, an denen die jeweils benötigten Bauteile zur Montage bereit stehen. So wird z.B. in einer Station das Lichtpaket mit Kabeln und Beleuchtungselementen montiert. Aufträge ohne Lichtpaket machen einen Bogen um diese Station. In einer anderen Station wird das Sonnenrollo verbaut, das je nach Ausstattung für die hinteren Türen verfügbar ist. Am Band müsste der Umfang aufgrund des vorgegebenen Taktes auf zwei oder drei Mitarbeitende aufgeteilt werden, was weniger effizient ist und zu Qualitätsrisiken führen kann. Häufen sich die Aufträge an einer Station, fahren die FTS zur Station mit der kürzesten Wartezeit. Zusätzlich wird die Belegung der Arbeitsplätze zyklisch überprüft und angepasst. „Die Flexibilität der dahinterstehenden Steuerungslogik ist im Vergleich zu heutigen Organisationsformen eine wesentliche Weiterentwicklung“, sagt Kern. Die einzelnen Stationen und das modulare Produktionssystem seien anders als beim Fließband nicht auf eine stabile Nachfrage ausgelegt (optimaler Betriebspunkt), sondern können in einer bestimmten Bandbreite effizient betrieben werden (optimaler Betriebsbereich).

Bei einer hohen Bauteilvarianz bietet das Ware-zu-Person-Prinzip eine attraktive Lösung. Die FTS bringen etwa die Kabelbäume der Türverkleidungen sortenrein zu den Mitarbeitenden, die das benötigte Teil entnehmen. Die anderen gleichen Teile fahren zurück in die Warteposition, weil bei der nächsten Türverkleidung in der Regel eine andere Bauteilvariante benötigt wird. Die sortenreine Bereitstellung macht eine vorgelagerte Vereinzelung überflüssig. Die zentimetergenaue Ortung läuft über ein Funknetz. Ein zentraler Rechner lenkt die FTS. Mit einer Kameraprüfung lassen sich außerdem Qualitätsprozesse integrieren. Im Vergleich zum Fließband kann bei Unregelmäßigkeiten leichter und schneller reagiert werden. Folgeaufwände lassen sich so vermeiden. „Wir verbinden die hohe Arbeitsteilung des Fließbands mit einer ganzheitlichen Betrachtung nach Lean-Prinzipien und den neuen Möglichkeiten von cyber-physischen Produktionssystemen“, so Kern weiter.

Durch den Serienpilot will er neue Erkenntnisse sammeln und Ableitungen für den Serieneinsatz treffen. „Indem wir durch Selbststeuerung die Fertigungszeit reduzieren, lässt sich die Produktivität um rund 20 Prozent steigern“, versichert Kern. Im nächsten Schritt soll die modulare Montage in eine größere Vormontage integriert werden – dort, wo hohe Varianz und Dynamik vorhanden sind. „Die Entkoppelung der Stationen ermöglicht eine Umplanung mit weniger Aufwand“, sagt Kern. Durch die flexible Hardware mit den fahrerlosen Transportsystemen sind oft nur Einstellungen an der Software nötig. Die Stationen lassen sich einfacher an Angebot und Nachfrage anpassen als im verketteten Fließband.

Künstliche Intelligenz und Edge Cloud

Über die modulare Montage hinaus will Audi eine voll vernetzte und hocheffiziente Produktion aufbauen. Das Ziel ist eine Wertschöpfungskette, die resilient, agil und flexibel ist, um den Anforderungen der Zukunft zu begegnen. Neben der wachsenden Variantenvielfalt geht es auch um die zunehmend volatile Versorgungssituation. Entsprechend werden im Production Lab von Audi viele neue Technologien auf ihre Eignung für die industrielle Produktion hin geprüft. Künstliche Intelligenz (KI) gelten beim Autobauer als zentrale Technologie für die digitale Transformation. Im Ingolstädter Presswerk hilft ein KI?Algorithmus, Risse in Bauteilen zu erkennen. Im Hintergrund dieses Verfahrens arbeitet eine Software auf Basis eines künstlichen neuronalen Netzes. Die Software erkennt selbst feinste Risse und markiert sie zuverlässig. Mit mehreren Millionen Prüfbildern hat das Team über Monate das künstliche neuronale Netz trainiert. Mehrere Terabyte dieser Bilder aus den Pressen verschiedener Audi- und Volkswagen-Standorte bilden die Datenbasis.

In einem weiteren Pilotprojekt kontrolliert der Automobilbauer am Standort Neckarsulm mit künstlicher Intelligenz die Qualität von Schweißpunkten in der Serienproduktion. Rund 5.300 Schweißpunkte sind nötig, um die Karosserieteile eines Audi A6 miteinander zu verbinden. Bislang überwachen Mitarbeitende in der Fertigung die Qualität beim Widerstandspunktschweißen (WPS) stichprobenartig mithilfe von Ultraschall. Im Rahmen des Pilotprojekts WPS Analytics wird KI genutzt, um Qualitätsauffälligkeiten automatisiert und in Echtzeit zu erkennen. Der Algorithmus, das Dashboard und eine Anwendung für tiefergehende Qualitätsanalysen werden aktuell im Karosseriebau der Modelle A6 und A7 eingesetzt. Er dient als Blaupause für weitere Anwendungen in der vernetzten Fertigung.

Mit der lokalen Serverlösung Edge Cloud 4 Production will Audi einen Paradigmenwechsel in der Fabrikautomation einleiten. Nach erfolgreicher Erprobung im Production Lab steuern von dort aus künftig drei lokale Server die Werkerführung in den Böllinger Höfen. Dort teilen sich die Modelle E-Tron GT quattro1 und R8 eine Montagelinie. Die gefertigten Kleinserien eignen sich besonders, um Projekte aus dem Lab zu testen und für die Großserie zu erproben. Audi will in der taktgebundenen Fertigung auf eine solche zentrale Serverlösung setzen. Bewährt sich die Serverinfrastruktur weiter zuverlässig, will der Automobilhersteller besondere Automatisierungstechnik auf die Serienfertigung bei Audi und im Konzern ausrollen.

Bei der Edge Cloud 4 Production übernehmen wenige zentrale und lokale Server die Arbeit von unzähligen dezentralen Industrie-PCs. Die Serverlösung ermöglicht, Auslastungsspitzen über die Gesamtzahl der virtualisierten Clients zu nivellieren – eine deutlich effizientere Nutzung von Ressourcen. Die Produktion spart vor allem bei Software-Rollouts, Betriebssystemwechseln und IT-relevanten Aufwänden. „Was wir hier machen, ist eine Revolution der Shopfloor-IT“, verspricht Vorstand Walker. „Bislang mussten wir Hardware kaufen, wenn wir neue Funktionen einsetzen wollten. Mit der Edge Cloud 4 Production kaufen wir Applikationen nur noch als Software. Das ist der entscheidende Schritt zu einer IT-plattformbasierten Produktion.“

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