HART im Ethernet-Tempo

Im Zuge der Digitalisierung der Prozessindustrie, der steigenden Bedeutung vorausschauender Wartung und den wachsenden Möglichkeiten der zentralen Konfiguration von Anlagen, sind digitale Kommunikationsprotokolle wie Feldbus und HART auf dem Vormarsch. Daneben hat sich WirelessHART als führendes Wireless-Protokoll für Prozessanwendungen etabliert. Bei der Implementierung von WirelessHART-Gateways oder beim nachträglichen Einbau von HART-Multiplexern in eine bestehende Infrastruktur sorgt HART-IP für eine effiziente Integration. Darüber hinaus ermöglicht es eine einfache Integration von HART-Daten ins Asset Management.
 Intelligente HART-Geräte unterstützen eine zentrale Konfiguration, sowie 
Diagnose- und Batterieüberwachung.
Intelligente HART-Geräte unterstützen eine zentrale Konfiguration, sowie Diagnose- und Batterieüberwachung.Bild: Softing Industrial Automation GmbH

Bei der Umsetzung neuer Technologien gilt die Prozessindustrie als eher zögerlich. Dessen ungeachtet prognostizieren führende Technologie-Organisationen, wie z.B. FieldComm Group, ODVA und Profibus & Profinet International, eine rasante Zunahme des Einsatzes von Industrial Ethernet in der Prozessindustrie. Demzufolge soll in Anlagen zukünftig vermehrt Ethernet anstelle von RS485 eingesetzt werden und Ethernet-APL schließlich 4-20mA ersetzen. Die FieldComm Group (FCG) begegnete diesem Trend bereits im Jahr 2012 mit der Spezifikation des HART-IP Ethernet-Protokolls. Mit HART-IP können WirelessHART-Gateways und HART-Multiplexer in die Steuerungssysteme von neuen oder bestehenden Prozessanlagen effizient integriert werden. HART-IP ermöglicht außerdem eine einfache vertikale Datenintegration vom Feldgerät bis zur Leitwarte. Dabei läuft das HART-Protokoll über Ethernet, Wireless LAN oder andere Netzwerkmedien, ohne dass auf detaillierte Geräte- oder Diagnoseinformationen aus bestehenden Netzen verzichtet werden muss. Das Protokoll unterstützt nicht nur den Zugang zu den Prozessvariablen eines Gerätes, sondern ermöglicht auch die Geräteparametrierung und den Zugriff auf erweiterte Diagnoseinformationen. Damit wird HART-IP eine wichtige Rolle bei der Etablierung des Internets der Dinge in Prozessanlagen spielen.

Systemintegration als Herausforderung

Bei der Systemintegration stoßen die traditionellen SPS-Protokolle zunehmend an ihre Grenzen. Traditionell festverdrahtete Geräte liefern oft nur den Prozesswert als einzige Variable. Das Abbilden einer Variablen pro Gerät von einer Steuerung oder einem Modbus RTU-Register in ein Prozessvisualisierungssystem stellt einen überschaubaren Aufwand dar. Demgegenüber unterstützen die Geräte im Normalfall mehrere Messwerte, Steuersignale und Rückmeldungen mit bis zu vier dynamischen Variablen, jeweils mit einer zugeordneten Statusinformation. So stellt ein Temperaturgeber beispielsweise zwei oder mehr Temperaturwerte zur Verfügung, ein Druckgeber den aktuellen Druck und Differenzdruck, ein akustischer Sender Lautstärke und Temperatur oder ein Vibrationsgeber die Vibration, Beschleunigung und Temperatur. Das Abbilden dieser dynamischen Variablen multipler Geräte auf Modbus-Register oder auf OPC-Gruppen und -Datenpunkte ist zeitaufwändig und fehleranfällig. Modbus-Register und OPC-Datenpunkte können zwar für Prozessvariablen verwendet werden, sind aber nicht für eine intelligente Geräteverwaltung im Rahmen von Asset-Management-Systemen geeignet. Intelligente HART-Geräte dagegen unterstützen eine zentrale Konfiguration, sowie Diagnose- und Batterieüberwachung. Natürlich kann ein Handgerät für die Gerätekonfiguration und Fehlersuche verwendet werden; für eine anlagenweite Verwendung ist dieses Vorgehen allerdings unpraktisch. Eine bessere Lösung ist eine Software für die intelligente Geräteverwaltung.

Durchgängige Gerätekommunikation

 HART-IP liefert Informationen an übergeordnete Applikationen (Scada, CMMS, DCS, ERP und andere) von drahtgebundenen und drahtlosen Geräten unabhängig vom Übertragungsmedium.
HART-IP liefert Informationen an übergeordnete Applikationen (Scada, CMMS, DCS, ERP und andere) von drahtgebundenen und drahtlosen Geräten unabhängig vom Übertragungsmedium.Bild: Softing Industrial Automation GmbH

Mit der steigenden Bedeutung von Diagnosedaten und der wachsenden Digitalisierung der Feldebene in Prozessanlagen rückt HART-IP zunehmend in den Fokus von Anwendern und Systemanbietern. Es ermöglicht die vollständige und anlagenweite Integration von Lösungen in Großanlagen und bietet ein hohes Maß an Interoperabilität zwischen Geräten und Anwendungen. Das Protokoll läuft über IP-basierte Netzwerke wie Ethernet und Wireless LAN und arbeitet über UDP (User Datagram Protocol) und TCP (Transmission Control Protocol) mit IPv4 (Internet Protocol Version 4) oder IPv6. Die HART-IP-Anwendungsschicht basiert auf denselben Befehlen wie das 4 bis 20mA-basierte HART-Protokoll und wie WirelessHART. Im Gegensatz zur seriellen Datenübertragung können Prozess und IT-Daten über ein gemeinsames Medium übertragen werden. Es gibt einen großen Adressraum mit einer nahezu unbegrenzten Anzahl von Teilnehmern, darüber hinaus wird durch die Kaskadierung von Switches der Aufbau großer Netze möglich. Außerdem können größere Mengen an Daten effizient übertragen sowie verschiedene Übertragungsmedien (Kupfer, Glasfaser, Funk) kombiniert werden. Als High-Level-Applikationsprotokoll funktioniert HART-IP unabhängig vom Medium und kann sowohl mit Standard Ethernet (IEEE 802.3), mit Kupfer und Glasfaser, als auch mit Wireless LAN (IEEE 802.11) verwendet werden. Daher eignet es sich auch für den Einsatz mit gängigen Infrastrukturkomponenten wie LAN-Switches, Router, Access Points, Kabel und Stecker. HART-IP kann darüber hinaus bestehende Netzstrukturen mit redundanten Ethernet-Medien sowie Mesh-oder Ringstrukturen nutzen oder auch mit Power over Ethernet (PoE) betrieben werden. Außerdem unterstützt es unterschiedliche Geschwindigkeiten wie 10MBit/s, 100MBit/s und 1GBit/s. Mittels IP-basierter Kommunikation können mehrere Protokolle für verschiedene Anwendungen über das identische Netz laufen. Das heißt, HART-IP kann einfach mit anderen IT- und Industrial Ethernet-Protokollen, wie z.B. HTTP oder Ethernet/IP bzw. Profinet eingesetzt werden und benötigt keine spezielle Infrastruktur. Der Einsatz mehrerer Clients und Server wird ebenfalls unterstützt. Damit erhalten mehrere Steuerungen und Software-Anwendungen über dasselbe Netz Zugang zu Daten in einem oder mehreren Gateways oder Multiplexern. HART-IP lässt sich für Geräte mit Ethernet ebenso nutzen wie für HART-IP Backhaul-Netze in HART-Multiplexern. Es kann in Software zur intelligenten Geräteverwaltung innerhalb von Asset-Management-Systemen genauso wie in OPC-Servern zum Zugriff auf Daten aus 4 bis 20mA/HART-Feldgeräten eingesetzt werden. Spezialanwendungen, wie z.B. Software zur Überwachung von Kondensatableitern oder zur Zustandsüberwachung von Maschinen, verwenden heute bereits HART-IP für den Zugriff auf Gerätedaten. Für die Zukunft ist zu erwarten, dass Steuerungssysteme und Automatisierungslösungen HART-Daten über HART-IP liefern werden. Auch HART-IP-Geräte für eine nahtlose vertikale Integration in der Anlage sind denkbar. Bereits heute gibt es einige Geräte, wie z.B. Durchflussmesser, die Ethernet unterstützen. Viele Geräte in Prozessanlagen verfügen jedoch bisher über keine Ethernet-Anbindung und werden diese auch in absehbarer Zukunft nicht haben. Dazu gehören einfache Signalgeber, Analysegeräte oder Ventile. Es ist anzunehmen, dass diese Geräte weiterhin mit 4-20mA / HART, Feldbus oder WirelessHART arbeiten werden. HART-IP ist also noch kein Ersatz für diese Protokolle auf Geräteebene und eignet sich bisher dafür auch aus verschiedenen Gründen nicht:

  • Die mit Kupfer-Ethernet erreichbare Distanz ist zu gering.
  • Ethernet auf Lichtwellenleiterbasis unterstützt keine Energieversorgung.
  • Power over Ethernet (PoE) ist bisher nicht eigensicher.
  • Es gibt tausende von Signalgebern und Ventilen in einer Anlage, so dass die Anzahl von Switches schnell ein unwirtschaftliches Maß erreichen würde.
  • Ethernet auf Lichtwellenleiterbasis erschwert den Gerätetausch und die Kalibrierung nach einem Gerätetausch.
  • TCP/IP erfordert eine Beteiligung der IT-Abteilung, um Cyber-Sicherheit zu gewährleisten.

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